INDIEN

Tagebuch und Reisebriefe 1978/79

 Fähre in Karnataka

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Indien lockte schon lange. Nicht nur ein Jugendtraum wollte verwirklicht werden, eine Langzeitreise nach Südasien versprach gleichzei­tig exotische Sinneseindrücke, geistige Abenteuer und freie, völlig ungebundene Lebensgestaltung.

Im Frühjahr 1977 begannen die Reisevorbereitungen. Ein VW-Bus wurde gekauft, in den folgenden Monaten in ein brauchbares Campingfahrzeug verwandelt und die vorhandene Ausrüstung für Fernreisen ergänzt. Nach zwei Test-Reisen durch Portugal und in die Bretagne waren wir sicher, mit dieser rollenden Hütte eine taugliche Basis für eine Langzeitreise zu besitzen.

Die Reiseliteratur-Verlage hatten noch nicht die Auto fahrenden Individualtouri­sten entdeckt, es gab lediglich den Großen Polyglott für die Türkei und Indien, die normal-dünne Ausgabe für Afghanistan und Ceylon, sowie fünf hilfreiche Bände der jungen Reihe "Globetrotter schreiben für Globetrotter", zusätzlich suchten wir in Bibliotheken und Zeit­schrif­tenarchiven nach Detailinformationen über attraktive Ziele.

Und gerade weil nur wenige aktuelle Berichte von Über-Land-Reisen nach und durch Indien vorlagen, ver­sprachen wir Freunden und Verwand­ten, ausführ­liche Reisebriefe zu schicken. Wir wußten damals noch nicht, daß uns mit zuneh­mender Dauer der Fahrt die schriftliche Verarbeitung der Erlebnisse immer wichtiger wurde. Aus den zunächst nur zur Unterstützung der eigenen Erinnerung festgehaltenen ersten Tagebucheinträgen wurde schrittweise eine Mischung aus Logbuch, Reportage und Reflexion. Auch der Stil ist den Eindrücken angepaßt: Stichwortketten auf dem schon oft bereisten Balkan, klassisches Versmaß im märchenhaften Goldenen Tempel von Amritsar.

 

Das Tagebuch wurde nicht kontinuierlich geführt. Es gab Zeiten, in denen der Ansturm der Ereignisse unsere Aufnahmefähigkeit erschöpfte und die Notwendigkeit, Erlebtes in Zusammenhänge einzuordnen, also zu verstehen, ließ Grenzen der Leistungsfähigkeit erkennen. Das Tagebuch war dann unwichtig. Und es gab Wochen, in denen wir Aktivitäten auf ein Minimum reduzierten, manchmal machten wir Urlaub von der körperlich und geistig anstrengenden Reise. Im Tagebuch finden sich aus diesen Tagen lediglich stichwortartige Logbucheinträge, die uns bei der Erinnerung helfen, für andere jedoch uninteressant sind.

Die Lücken im Tagebuch werden von den Reisebriefen weitgehend gefüllt. Diese Briefe waren als Rundbriefe konzipiert, an einen Empfänger in Deutschland geschickt und von diesem kopiert und verteilt. Später, als man uns lange nach der Rückkehr bat, die leider schwer entzifferbaren, handgeschriebenen Rundbriefe in einer für jeden lesbaren Fassung neu zu verteilen, war es ein Gewinn, die Tagebuchnotizen zu bearbeiten, die Ereignisse noch einmal Revue passieren zu lassen und die unterwegs oft nur skizzierten Fragen an uns selbst ebenso verständlich darzustellen, wie die bisher erreichten Antworten.

                                                                                                                         

Überblick

Die schöne Stadtvilla mit unserer Wohnung im Berliner Norden, nahe dem Tegeler Fließ, hatte im Jahr 1977 den Besitzer gewechselt und der mit den neuen Eigentümern zum Mai 1978 vereinbarte Auszug war unmittelbarer Anlaß zur Realisierung eines schon länger drängenden Wunsches: Wir wollten nach Indien, auf dem Landweg und mit eigenem Campingbus.

                                          

Sperrige Möbelstücke wurden verkauft, der restliche Hausrat bei der Verwandtschaft eingelagert. Die letzten Wochen vor der Abreise konnten wir ohne Zeitdruck in der Wohnung unserer Freunde Marianne und Manfred in Berlin und in Birgits Elternhaus im saarländischen Eisen verbringen.

Am 17. Juli 1978 ging es endlich los und über Sarajevo, Sofia, Istanbul, Izmir und Denizli, Antalya, Konya und Malatya er­reichten wir das erste Ziel der Reise: Kurdistan, türkischer Teil.

                                   

Ein paar Aspirin, einem Fieberkranken geschenkt, wandelten sich unerwartet zur Eintrittskarte in die "bessere Gesellschaft" zwischen Van-See und der Kurdenstadt Hakkâri und verhalfen uns zu oberflächlichen, aber dennoch faszinierenden Einblicken in den Alltag der  Familien vom Bürgermeister und einem Richter, dem Polizeichef und einem Leh­rer. Leider wurde Birgit ernsthaft krank und mußte im schauer­lich schmut­zigen und kaum funktionsbereiten Krankenhaus von Hakkâri eine ganze Woche gegen Bazillen- und Amöben­ruhr behandelt werden. Fortan wurde jeder Tropfen Trinkwasser im Katadyn-Filter ent­keimt und für Speisen galt nun die eiserne Regel: Kochen, schälen oder vergessen!

                               

Die Unruhen und das Kriegsrecht im Iran reduzierten den Aufenthalt auf 16 Tage und ließen keine größeren Abstecher von der Ölspur (der Hauptverbindungsstraße Europa-Indien) zu. Rezaiyeh, Täbriz, Rasht am Kaspischen Meer, Teheran und Mashad hießen die Stationen.

                                   

Traum-Orient in Afghanistan. Der Iran war noch west-orien­tiert, die Klei­dung der Städter überwiegend europäisch, in Herat liefen jedoch nur noch Gestalten aus 1001-Nacht umher: Pyjama-ähnliche Bekleidung, langer Rauschebart, Turban und dessen Verlängerung ist ein über die Schulter geworfenes Allzweck-Tuch. Es ist Kopfbedeckung und Schmuck, Einkaufstasche und Fliegenwedel, Taschentuch und Sitzkissen, Schlafdecke und wärmender Umhang zu­gleich. Jetzt waren wir endlich  im Orient unserer Phantasie. Und lernten sogleich auf Banken und in Botschaften die orien­talische Bürokratie kennen. Wer einmal erlebt hat, wie laut und lange der Amts­schimmel hier wiehern kann, wird sich nie wieder über deutsche Beamte beschweren. Über Khandahar und Kabul rollte der VW-Bus zu den Seen von Band-i-Amir im Zentralen Hochland und dann über den Khyber-Paß hinab in den Punjab, das Fünfstromland.

                            

In Pakistan drängte die Zeit, wir wollten unbedingt noch vor Einbruch des Winters in Ladakh gewesen sein. Auf dem Weg in diese nördlichste Provinz Indiens sind drei Pässe zwischen 3700m und 4100m zu überqueren, die Straße ist einspurig, nur streckenweise geteert und selbstverständlich ungesichert. Also nichts für einen VW-Bus, wenn schon Schnee liegt.

Peshawar, Islamabad und Rawalpindi, sowie Lahore waren schnell passiert und am Abend des 19. September 1978 blickten wir verzaubert auf den Goldenen Tempel der Sikhs in Amritsar.

Indien war erreicht, ein Traum wurde Wirklichkeit.

                                  

Die Begegnung mit der Tibetischen Kultur in Ladakh, die Einblicke in den Alltag der Lamas, die deutlich anderen Regeln für das Leben der Bevölkerung, die mit natürlicher Offenheit und freundlicher Neugierde den Fremden begegnet, und die Reise in atemberaubender Landschaft in 3.500m Höhe nördlich der Himalaya-Hauptkette, die erst zwei Jahre zuvor dem motorisierten Globetrotter zugänglich wurde und noch keine lärmenden Reisegruppen erdulden mußte, hätten genauso wie die Eindrücke und Erlebnisse aus Afghanistan einen eigenen Rundbrief füllen können, aber die dafür nötige Ruhe fanden wir erst viele Wochen später, als es schon wieder anderes zu berichten gab. Lange noch schleppten wir die gewohnten Vorstellungen von zweckmäßiger Lebensge­staltung, zu der eine preußisch ordentliche Vorausplanung gehört, und den damit verbunde­nen Streß mit uns herum.

                                   

Überhaupt änderte sich unser Verhältnis zu uns selbst und zu "der Welt" nur langsam, aber immerhin, es änderte sich. Wäh­rend dieser Reise begann ein Prozeß der Selbsterkenntnis, der ganz anderes erstrebte und ganz anders verlaufen sollte, als diejenige "Selbstfindung", die zur Zeit der Tour gerade in Poona im Ashram des Bhagwan Shree Rajneesh praktiziert wurde.

                                  

In Ladakh packte uns das Festival-Fieber, das dann "unten" in Indien zunächst die Reiseroute bestimmte: Das Ram-Lila im Kulu-Tal und die Pushkar-Fair in Rajasthan waren die nächsten wichtigen Stationen, dazwischen Chandigarh, Delhi und Agra. Von Rajasthan führte der Weg quer durchs Land über Calcutta nach Darjeeling und ins winterliche Nepal hinein.

                    

Nach 6 Wochen im weiten Tal von Kathmandu, sowie Ausflügen nach Pokhara am Bergriesen Annapurna und zum Dorf Kodari an der Grenze zu Tibet lockte wieder das wärmere Indien.

                                          

Bubaneshwar und Puri an der Ostküste, Bombay und Goa im Westen, Mysore und das Kap Comorin im Süden - Zickzack-Kurs durch den Subkontinent. Und dann die abenteuerliche Überfahrt von Rameswaram nach Mannar auf Sri Lanka.

                                                     

Der VW-Bus mußte über einen Sandstrand (ohne einzusanden, versteht sich, also recht schnell) auf zwei reifenbreite Bretter gelenkt werden. Diese Rampe endete auf zwei zusammengebundenen schmalen Fischerbooten, die natürlich schwankten und zu kippen drohten. Jetzt rechtzeitig anhalten, die Boote liegen ja schon im Wasser. Dann schaukelnde Tuckerfahrt zum Fährschiff, das weit draußen auf der Reede liegt und auf dessen Deck ein Kran bereitsteht, das Auto an Bord zu heben. Dazu werden Netze und Seile unter den Wagen geschoben, Decken und Sandsäcke polstern die Seiten. Immerhin, es klappte und die Crew meinte, sie hätte wohl ein ordentliches Trinkgeld verdient. Daß der Kran nur 1,5 t heben durfte, unser übervoll beladenes Auto aber 2,5 t wog, störte dabei nur uns. Spannend wurde es dann auf dem Rückweg: Zuerst das (hoffentlich ausreichende) Trinkgeld, denn mit dem Wagen gingen ja auch wir von Bord, dann mußte das Fahrzeug zentimetergenau auf den Brettern der auf den Wogen tanzenden Schifflein abgesetzt werden.

                                        

Auf Ceylon wurde das Reiseleben noch ruhiger. In den vier Monaten auf der nur Bayern-großen Insel erfüllten sich nicht nur die klassischen Indien-Träume vollständig, sondern es wurde die Reise-Sehnsucht (vorübergehend) gestillt. Als vorläufiges Ergebnis der Auseinandersetzung mit der Kultur Indiens, besonders mit den lebensbestimmenden Religionen, sahen wir plötzlich neue, ganz persönliche Aufgaben in Deutschland und freuten uns schon auf die Rückkehr - ein Jahr zuvor noch unvorstellbar.


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Das Tagebuch mit 1100 hochaufgelösten Abbildungen besteht aus

11 PDF-Dokumenten, die wir kostenlos im Download zur Verfügung stellen.

Da diese Website keinen Datei-Download gestattet, liegen die Dateien in einem Online-Speicher für den wir auf Anfrage einen Zugangslink versenden. Eine E-Mail an    olaf.hinz(at)ogh-berlin.de    ist ausreichend, wir antworten mit dem Link zur Cloud bei 1&1.


Die Dateien sind zwischen 300 MB und 500 MB groß, insgesamt 4,3 GB

    

INHALT

     

Anreise      

Teil 01   Türkei - Iran - Afghanistan - Pakistan - Indien: Amritsar                            

Indien           

Teil 02   Kaschmir - Ladakh - Kulu - Delhi - Agra

Teil 03   Rundbrief "Rajasthan" - Khajuraho - Benares - Kalkutta - -             Darjeeling         


Nepal          

Teil 04   Tal von Kathmandu - Kodari - Rundbrief "Reise-Alltag"

Teil 05   Pokhara - Tal von Kathmandu


Indien          

Teil 06   Rundbrief "Von Bubaneshwar nach Bombay" - Goa - Mudumalai - -             Kerala

 

Sri Lanka   

Teil 07   Colombo - Polonnaruwa - Rundbrief "Tiere"

Teil 08   Sigiriya - Anuradhapura - Kandy - Nuwara Eliya - Ratnapura -

-             Gal Oya

Teil 09a/b   Rundbrief "Kataragama"


Rückreise

Teil 10   Rückreise - Anhang: Rückblick und Folgen