Im Meer aus Sand und Stein


Die Libyen-Reise   1. November – 12. Dezember 1994

ÜBERBLICK

Nach der völlig störungsfrei gebliebenen Rundfahrt im Maghreb 1992 wurde die Fernreise- und Wüstentauglich­keit unseres Reiseautos im Frühsommer 1993 bei Brownchurch in London vervollständigt. Der Ausrüster der Camel Trophy montierte einen stabilen Frontschutzbügel und ein Schutzrohr für die Lenkung, die zweite Reserveradhalte­rung, eine Erweiterung für den Haupttank, der nun 120 Liter faßte, und eine für unser Hubdach maßgeschneiderte Dachbrücke. Während der rüttelfeste und dadurch pistentaugliche Gepäckträger nach unseren Maßvorgaben angefer­tigt wurde, fuhren wir für zwei Wochen nach Schottland. Im Herbst reichte die Zeit dann noch für eine Reise durch die Pyrenäen.

1994 sollte der Land-Rover uns wieder in die Sahara bringen, diesmal in den Süden Libyens mit den Hauptzielen Ghadames, Idhan Aubari (Ubari-Sandsee) bei Germa, Wadi Mathendous und Wau-en-Namus.

Ghadames war neben den Djorfa-Oasen Hun und Sukna für viele Jahrhunderte notwendiges Etappenziel aller Ka­rawanen zwischen Tripolitanien und dem Fessan, dem Kernland der Garamanten mit dem Handelszentrum Murzuk. Noch im 19. Jahrhundert duldete man keine Christen in der Stadt, Gerhard Rohlfs beschreibt ausführlich, wie er 1865 als angeblicher Konvertit in Ghadames empfangen wurde (Rohlfs: Quer durch Afrika). Die fast vollständig erhaltene Altstadt mit überbauten Gassen, verwinkelten Plätzen und kunstvoll bewässerten Palmgärten ist Teil des Weltkultur­erbes.

In den Dünen des Idhan Aubari nördlich von Germa existieren mitten im Sand mehrere Seen, die von fossilem Grundwasser gespeist werden, vielleicht sind auch artesische Quellen beteiligt. Die letzten Siedlungen Mandara und Gabroun sind seit Jahren verlassen, die Gewässer liegen jetzt in menschenleerer Dünenlandschaft, nur 30 bis 60 km Luftlinie vom Oasental Wadi al Haya entfernt, aber nicht ganz einfach zu erreichen. Der Ritt durch die Sandberge ver­spricht viel Fahrspaß.

An dem von Felsblöcken gebildeten Nordrand des Wadi Mathendous haben frühe Siedler Gravuren der Tiere ihrer Umgebung hinterlassen. Hier lassen sich eindrucksvoll langfristige klimatische Veränderungen erfassen: Noch vor etwa 8000 Jahren muß die heutige Sand- und Steinwüste eine Savanne gewesen sein – Temperaturanstieg und Aus­bleiben der Niederschläge auch ohne Einwirkung der Menschen.

Das Hauptziel der Reise, die Krateroase Wau-en-Namus, wurde nicht wegen kultureller Werte oder der Freude am Fahren im Gelände gewählt, die Lust am Abenteuer war bestimmend. 300 Kilometer von der nächstgelegenen Ort­schaft entfernt, in unbesiedelbarer Vollwüste gelegen, war der Wau-en-Namus nie ein Ziel für Karawanen, denn das Wasser der Oase ist für Menschen ungenießbar. Italienisches Militär ließ um 1935 die ersten Motorfahrzeuge zu dem den Europäern nur vom Hörensagen bekannten Krater rollen, die erste deutsche Expedition traf im Jahre 1942 ein. Deren Teilnehmer berichteten ebenso begeistert (Richter: Unvergessliche Sahara) von der Oase wie die Reisenden, die zwischen 1950 und 1980 auf West-Ost-Querungen der Sahara am Wau-en-Namus Station machten ( z.B. Heussler: Vom Atlantik zum Nil). Natürlich existieren inzwischen Fahrspuren, zu Pisten gebündelt, es gibt Wegpunkt­listen mit geographischen Koordinaten für die modernen GPS-Empfänger und brauchbare Landkarten – das Risiko einer mehrtägigen Fahrt in lebensfeindlicher Umgebung ist geringer geworden. Wir wollen allein dort hin, ohne Begleitfahrzeug.



ANREISE


1.November
Start gegen 17:30 Uhr, es dauert eben, bis alles im Auto verstaut ist. Ab Drewitz ein Stau nach dem anderen in den zahlreichen Autobahnbaustellen. Um 01:00 Uhr am Hermsdorfer Kreuz.

2. November
Für ein Raststätten-Schlafplatz war es eine ruhige Nacht, 3°C. Probelauf des neuen Garmin GPS-Empfängers: Die Display-Beleuchtung ist bei Tageslicht fast unbrauchbar. Zügig ohne weiteren Stau bis zur Raststätte Rosenberger zwischen Innsbruck und Telfs gefahren. Diesel in Österreich zwischen 7,70 und 7,90 S.

3. November
Sehr ruhiger Rastplatz, 7°C. Über Landeck, St. Moritz und Milano bei wechselndem Wetter in schöner Landschaft bis fast nach Rozzano gerollt. Auf den sonst gebotenen Abstecher nach Samnaun verzichten wir diesmal, die Kraftstoffpreise in Libyen werden so niedrig sein, daß der zweistündige Umweg unnötig erscheint. Nördlich von Milano geht die SS 35 in eine Autobahn über, Gebühr bis Ring Milano LIT 2.500, der Ring ist kostenlos, bis Genua werden LIT 20.000 fällig. Wir wollen jedoch noch einkaufen und benutzen die Landstraßen.

Beim Überfahren einer Sperrfläche bohrt sich ein Nagel in die Reifendecke hinten links. Kleine Sünden werden also doch sofort bestraft. Natürlich regnet es gerade, der Berufsverkehr ist auf seinem Höhepunkt, die schmale Fahrbahn bietet nur Platz für eine Fahrzeugreihe und der stehen wir jetzt deutlich im Weg. Der Radwechsel am Land-Rover dauert leider etwas länger, als an einem Formel 1 Rennwagen - nach 90 Minuten ist alles Gerät wieder eingepackt und die Hände sauber. An der SS 10 befindet sich vor Voghera ein “IPER”-Supermarkt (überraschend billig) mit großem Parkplatz, der zum Übernachten einlädt. Denkste, der private Wachschutz läßt sich nicht überreden und vertreibt uns. Es regnet immer noch.

4. November
13°C konstant von 0 bis 6 Uhr, aber “Nix-wie-weg-Wetter”: Dauerregen. In Voghera wird der durchlöcherte Schlauch vulkanisiert und für LIT 330.000 ein neuer Pirelli-Reifen mitsamt Schlauch für die 2. Reserveradhalterung gekauft. Leider akzeptiert kaum noch jemand einen Euro-Scheck, erst in der vierten Bankfiliale sind wir erfolgreich. Oberhalb von Genua knurrt der Magen, zwischen Busalla und Pontedécimo findet sich ein Rastplatz, der bei schönem Wetter eine tolle Aussicht böte - jetzt jedoch parken wir in einem Wasserfall: Aus dem Dauerregen wird eine wahre Sintflut. Jede Straße mutiert zum Bach, ach was, zum Fluß. Der Landy pflügt durch tiefes Wasser, überall stehen PKW mit nasser Zündanlage im Weg - ein totales Verkehrschaos. In Pontedécimo erreicht der Wasserpegel Kniehöhe, die Anwohner versuchen erfolglos, Keller und Erdgeschosse vor der Überflutung zu schützen. Kurz vor Genua ist eine für den Landy durchaus passierbare Brückenunterquerung (naja, vielleicht hätten wir im Wagen nasse Füße bekommen) gesperrt und der Polizist hat kein Einsehen. Also zurück durch die inzwischen auch tiefer gewordenen “Straßenflüsse” zur letzten Autobahn-Zufahrt und dann erreichen wir mit mehr Stop als Go auf der als Hochstraße gebauten Autobahn gegen 19 Uhr den Hafen von Genua, der jetzt am Abend einige Standplätze bietet.
(Berlin - Landeck - St. Moritz - Genua: 1.350 km, Fahrzeit total 24 Std.)

5. November
Wenig geschlafen, Häfen sind immer unruhig, hier fühlen wir uns aber sicher und die Toiletten sind sauber. 19°C, es regnet am Morgen nicht mehr, leider aber wieder ab Mittag. Gegen 15:30 Uhr Einschiffung zusammen mit 25 Geländewagen: Viele LR, Toyota, Patrol, auch Unimog und ein DB 810 Allrad mit Kabine. Natürlich spricht man miteinander, auch wir fragen nach Reisezielen, betrachten spezielle Ausrüstung und können kaum glauben, daß eine Gruppe mit 12 Fahrzeugen lediglich in Tunesien durch den kleinen Wüstenzipfel fahren will. Dort ist ein Wettbewerb geplant, die Autos sind mit Rallyeaufklebern rundum bepflastert.

Sechs Österreicher verdienen eine Erwähnung: Vater und Sohn aus Salzburg sind seit Jahren vom Saharabazillus infiziert und nehmen zur Finanzierung ihrer Reisen zahlende Gäste mit. Papa chauffiert 3 Gäste im bequemen Range-Rover, der Junior rollt mit einem weiteren Gast im Land-Rover hinterher und transportiert mit 1,3 Tonnen Zuladung Trinkwasser, Lebensmittel und Kraftstoff. Mutig ist ihre geplante Reiseroute: Über den Wau-en-Namus direkt in den Tschad, ins Tibesti-Gebirge, quer durch den immer noch von libyschen Minen verseuchten Aouzou-Streifen.


Unsere große Alu-Kiste brauchen wir nicht vom Dach zu nehmen, die Höhe des Decks ist mit 2,65m gerade ausreichend. Zusammen mit einem Toyota-BJ42-Paar stopft man uns in die Kabine Nr.435; die läßt sich nicht abschließen, also muß das Handgepäck immer mitgenommen werden. Bordwährung ist der Französische Franc mit erträglichem Wechselkurs (10 DM = FF 33). Formulare für die Einreise nach Tunesien sind reichlich vorhanden, die Prozedur wird während der Überfahrt schon vorbereitet.

6. November
Erstaunlich gut geschlafen. Unsere Kabinen-Nachbarn wollen mit ihrem BJ42 über Tobruk und Zella zum Wau-En-Namus, von dort über Ghat nach Algerien und weiter nach Marokko. Gegen Mittag verspürt Birgit Übelkeit, die Horizontale im Kabinenbett verschafft Linderung. Ankunft in Tunis gegen 18:30 Uhr, anschließend zwei Stunden Wartezeit in der Fahrzeugschlange vor der Paß- und Zollkontrolle. Der Landy wird nicht untersucht, man fragt uns nur nach Ziel und Waren. Auf dem großen Parkplatz am Kongreß-Zentrum erhält der Nachtwächter zwei Dinar und wir dafür einen ruhigen und sicheren Schlafplatz.
(Wechselkurs am Hafen: DM 100,- = TD 62,930 - TD 1,000 = DM 1,58)

7. November
Um 6 Uhr 18°C, Sonnenaufgang 6:30 Uhr. Heute ist Nationalfeiertag, dennoch begegnen uns auf der jetzt bis Sousse führenden, sehr gut ausgebauten Autobahn nur wenige Fahrzeuge. Fahrzeit über Kairouan bis Metameur: 6 Stunden einschließlich einer längeren Rast. Es ist angenehm warm und wolkenlos und zum Abendessen sitzen wir im weiten Innenhof des Ghorfa-Hotels in Metameur unter einem prächtigen Sternenhimmel. Zwischen den alten Speicherkammern der Nomaden ist immer noch die berauschende Stimmung zu finden, die bereits vor zwei Jahren begeistert hat. Das Hotel soll “Künstler-Zentrum” werden und der erste tunesische Maler, der hier Bilder ausstellt, ist gleichzeitig Verbindungsmann nach Deutschland und wohnt in Berlin-Tiergarten, Pohlstraße 71! In diesem Haus habe ich die ersten 11 Jahre meines Lebens verbracht, die Welt ist doch recht klein! Der Patron serviert Suppe, Gemüse-Crêpe, Couscous und einen Granatapfel, dazu gibt’s Wasser aus der Leitung, wir greifen lieber zur Bierflasche. Die Übernachtung mit warmer Dusche und Abendessen für uns Zwei kostet TD 8,000 = DM 13,-. Anschließend werden noch zwei halbe Flaschen Wein geleert, sozusagen Vorrat getankt, denn wir haben uns entschlossen, keinen (oder nur ganz, ganz wenig) verbotenen Alkohol nach Libyen zu schmuggeln.


8. November
In der nächtlichen Ghorfa-Anlage herrscht unter klarem Sternenhimmel Totenstille, aber um 5:15 Uhr schreit der Muezzin lautsprecherverstärkt von dem kleinen Minarett 20 Meter neben uns. Temperatur 15°C. Während wir frühstücken wird die himmlische Ruhe von einfallenden Touristenhorden gestört: Rundfahrtbusse aus Djerba! Im Rezeptionszimmerchen neben dem Eingangstor findet Birgit ein Telefon für ein Gespräch nach Eisen, 3 Minuten kosten 14 Dinar.

Hinter Ben Guerdane empfängt uns eine Sandwüste mit künstlich bewässerten Olivenplantagen. An einem Brunnen drängeln sich etwa 100 Kamele, alle scheinen sehr durstig zu sein. Acht bis zehn Hälse und Köpfe zwängen sich knurrend in den winzigen, wassergefüllten Trog. Ein Treiber sorgt mit Stockhieben für Disziplin, aber in den hinteren Reihen knurrt, faucht und zischt es ungeduldig. Der im Pick-Up sitzende Besitzer der Herde will tatsächlich Fotos nur gegen Bargeld erlauben, wir erklären, lediglich die für uns exotische Landschaft zu filmen und zu fotografieren, und die gehöre ihm ja wohl nicht. Daß da ein paar Kamele mit auf den Bildern zu sehen seien, wäre reiner Zufall. Ob er die englischen Worte wirklich alle verstanden hat, wissen wir nicht, er nervt jedenfalls nicht weiter. Und als der Treiber einige nervöse Ausreißer seiner Herde einfängt, werden wir sogar aufgefordert, die Aktion zu filmen. Eine Herde Schafe will auch an das Wasser, die Ankömmlinge verbreiten Unruhe: Erst laufen einige, dann rennen alle Kamele davon, der Treiber am Trog schaut hilflos hinterher und wir fahren weiter. Zwar hätten wir gern erfahren, weshalb die großen Kamele vor den kleinen Schafen Angst haben, aber der Treiber spricht nur arabisch und der Besitzer hat jetzt keine Lust mehr, mit uns zu reden.

Auf den letzten 12 Kilometern vor der Grenze zu Libyen steht unter jedem Baum im Schatten ein Geldwechsler, der gegen DM oder Dollar die Währung Libyens anbietet. Wie bis vor einigen Jahren die amtlich überteuerten Ostblockwährungen, so hat auch der Dinar in Libyen nur auf dem Schwarzmarkt einen dem realen Wert entsprechenden Kurs. Für 800 DM erhalten wir 1200 LD, die uns in Libyen auf einer Bank etwa 4800 DM gekostet hätten. Den tunesischen Grenzposten erreichen wir gegen 13:00 Uhr, vor uns fünf Busse, vollbesetzt mit Koreanern. Der Zollbeamte sucht vergeblich den Stempel für die Ausreise mit eigenem Fahrzeug und schickt uns auf einen Fußmarsch zur Einreise-Baracke. Dort drückt man uns irgendwelche Stempel in die Pässe und dann dürfen wir Tunesien verlassen.

Auf Libyens Seite der Schlagbäume sind alle Leute sehr hilfreich und erklären die einzelnen Schritte der Einreiseprozedur. Da jedoch niemand eine Uniform trägt, ist die Funktion der Burschen nicht zu erkennen und wir sind anfangs überaus mißtrauisch, kennen wir doch von einigen Grenzen die freundlichen Helfer und ihre anschließend hartnäckigen Geldforderungen. Aber die Jungs hier wollen wirklich nur dem fremden Gast helfen. Im Paßamt erhalten wir ohne Wartezeit die notwendigen Stempel, aber in der schattigen Halle der Zöllner stehen wir hinter den fünf Bussen und schauen eine Stunde lang zu, wie alle Koreaner sämtliche Gepäckstücke leeren müssen: Ganze Berge von Zigarettenstangen und Magazine mit Bildern von leicht bekleideten Frauen werden zur Seite gelegt und wohl einbehalten. Der in einem backofenheißen Container sitzende Versicherungsagent verkauft die obligatorische Haftpflichtversicherung für 20 DM (oder 15 USD), die leider notwendigen Autokennzeichen müssen mit 60 Lib.Dinar bezahlt werden, wobei die Währung kommentarlos akzeptiert wird, obwohl an der Grenze keine Bank und damit auch keine Wechselmöglichkeit existiert. Der Import der Währung ist grundsätzlich verboten, aber man hat sich wohl mit dem Schwarzmarkt arrangiert. Schließlich fragt uns ein Zöllner, wohin wir reisen und was wir im Land wollen und als er hört: Touristen aus Germany, sagt er „tschüß“. Keine Kontrolle, sehr schön.

Jetzt sind alle Wegweiser und Ortsschilder ausschließlich arabisch beschriftet, wir müssen sehr genau auf den Karten die Route verfolgen und anhand der zurückgelegten Kilometer und einiger Wegmarken den momentanen Standort bestimmen. Diesel (Nafta) kostet 0,110 LD je Liter, das sind 7 Pfennige! Paradiesisch. Aber für 1 kg kolumbianische Bananen dürfen wir 3 LD, also 2 DM bezahlen. In Sabratha (km 107 ab Grenze) bietet sich der Parkplatz vor einem römischen Theater zur Übernachtung an. Der nette Wächter spricht einige Worte deutsch, leider ist die lokale Hundemeute sehr laut.

ERSTES ZIEL: IDHAN AUBARI, MANDARA SEEN, GERMA

9. November
Um 6:00 Uhr 13°C, SA um 7:15, windig und kalt. Der vermeintlich späte Sonnenaufgang erklärt sich durch die lokale Zeit, die mit der in Kairo identisch ist – das liegt jedoch etliche Kilometer weiter östlich. Wohl ein Relikt der kurzlebigen Union beider Länder.
Der unbeschilderte Abzweig nach Yefren läßt sich erst im zweiten Anlauf finden, die neue, noch nicht in unseren Karten verzeichnete Teerstraße führt exakt nach Süden, endet jedoch nach genau 50 Kilometern. Neuer Kurs jetzt 240° auf alter Straße. Entlang der Straße liegen viele intensiv bewässerte, kreisrunde Anbauflächen – irgendwann ist der Grundwasservorrat aufgebraucht. Es wird wild und riskant gefahren und in der Straßenmitte, zwischen beiden Fahrspuren, liegen kilometerweit verstreut erstaunlich große Nägel. Der erste Wüstenfuchs kreuzt den Weg. Yefren ist ein schöner, alter Ort auf einem 650 m hohen Plateau, war wohl einigermaßen überfallsicher.

Vor wichtigen Kreuzungen und Gabelungen stehen (hier im Norden des Landes) große Wegweiser, die sich mit Hilfe der zweisprachigen Ortsnamen-Liste des Reiseführers entziffern lassen. Und ebenfalls vor Kreuzungen und Ortschaften erzwingen Kontrollposten der Polizei jeweils einen 15-minütigen Aufenthalt. Alle Passdaten werden abgeschrieben, die Leute sind korrekt und nur mäßig neugierig. Einen geeigneten Übernachtungsplatz finden wir südlich von Mizda, ca. 4 km westlich der Straße, jenseits einer ausgetrockneten Wasserfläche, einer Sebka. Eine Schafherde mitsamt französisch sprechendem Targi (aus Tamanrasset, wie sich schnell herausstellt) befindet sich in Sicht- und Hundebellweite. Der Landbesitzer ist natürlich Libyer, der auch bald im Pickup vorbeischaut. Unser Ziel waren eigentlich die in der TPC-Karte verzeichneten Monumente, aber für die 11 km bis dorthin würde der Landy auf dem rauhen Untergrund noch eine Stunde benötigen – keine Lust dazu. Nachts heulen die Hunde des Targi mit den Schakalen um die Wette, zum Glück nur selten. Sehr klarer Sternenhimmel.
Camp N 31° 06,065' E 13° 11,953' auf 445m Höhe



10. November
Während wir neben dem Landy frühstücken und die Ruhe und die Gesellschaft eines Weißbürzelsteinschmätzers genießen, kommt der Targi noch einmal vorbei und bittet um ein paar Aspirin und Vitamintabletten.

In Garyat gelingt es nicht, Brot zu kaufen – es existiert keine Bäckerei, die Leute backen alle selbst im Haus. Aber tanken können wir, 115 Liter für 12,600 LD, das sind knapp 9 DM!  (Der Dinar ist wie in Tunesien in 1000 Dirham unterteilt.)

Die Hochebene Hamadat al Hamrah ist ein Serir, eine Kiesebene. Brettflach bis zum Horizont, ab und an von Wadis zerfurcht und völlig unbesiedelt. Meereshöhe durchgehend 500-550 m, in den Wadis geht es hinunter bis auf 300 m. Die Luftspiegelungen machen Freude und sorgen für optische Abwechselung: Türme schrumpfen beim Herannahen zu kniehohen Steinen und scheinbar mächtige Bäume zu mickrigen Büschen in Heidekraut-Größe. In einer Senke treffen wir an einer Wasserstelle auf Kamele, kein Treiber in Sicht. Jetzt werden Zeugenberge am Horizont erkennbar und zur Rast bietet sich eine Schirmakazie im Talgrund eines Wadis an. Jeder trinkt einen Liter Wasser, knabbert etwas Brot und verdrückt eine Banane.

Am Abzweig nach Hun befindet sich kein Wegweiser, aber der unvermeidliche Polizeiposten. Die Landschaft wird jetzt hügelig, 22 km weiter beginnt ein Lavafeld. Die Hänge sind mit schwarzen, scharfkantigen Basaltbrocken bedeckt, zwischen denen sich roter Flugsand ablagert. Auch der Ort Swayrif hat keine Bäckerei, wir denken über einen Brotersatz nach und kochen am Abend auf dem gut arbeitenden MSR-Petroleumkocher Reis für die nächsten 2 Tage.
Camp N 28° 40,115' E 14° 12,109' Höhe 554m, SU 18:20 Uhr

11. November
Gaaanz ruhige Nacht, keine Menschenseele weit und breit. Um 6:30 Uhr 13°C , SA 7:30
Zum Frühstück gräbt Birgit einen Mohnkuchen aus der Zargesbox und dann steht ja da noch der große Topf mit Reis.

Zurück zur Straße fahren wir 10 Kilometer über die Kiesebene, mit nach allen Richtungen unbegrenzter Sicht bis zum Horizont. Vereinzelt stehen zerbröckelnde Basaltsäulen inmitten von Schutthalden, die aus der Säule einen Kegel machen. Und die Basaltsäulen sind ja nur der Erosion trotzende Reste der Zeugenberge, die ihrerseits Überreste einer höher gelegenen, von Vulkanschloten durchzogenen Ebene sind. Geologie zum Anfassen.
Hinter dem Kontrollposten am Ortseingang von Brak stolpern wir tatsächlich über eine Bäckerei, die zwar noch keine Brote verkauft – leider ist gerade mal wieder der Strom ausgefallen -, zu deren Besichtigung wir jedoch eingeladen werden. Der stolze Besitzer spricht etwas englisch und erklärt die moderne, vollautomatisch arbeitende Backstube. Die gesamte Belegschaft steht dabei Spalier: 2 Söhne und 5 Gastarbeiter, aus Tunesien und dem Niger. Nach einer Stunde Wartezeit halten wir 10 knackfrische, verführerisch duftende Brote im Arm, 50 Dirham das Stück, alle zusammen also für einen halben Dinar – 33 Pfennige.

Am Ausgang von Brak wieder eine Kontrolle und dann zweigt ohne Ausschilderung eine neue Straße genau dort ab, wo in der Michelinkarte 953 eine Piste quer durch die Dünen direkt nach Sebha führt. Wir folgen dem neuen Teerband, das erst kurz vor Sebha in die ältere Straße mündet. Etwa 10 Kilometer vor dem Ort, noch mitten im Sand, liegt ein leuchtend grüner Park, dessen Gärten und Wiesen permanent bewässert werden. Die Allee zum hübschen Haus ist von einem Oleanderspalier gesäumt. Wohnt hier ein Mitglied der Gaddafi-Familie?

Für Sebha planen wir einen Aufenthalt von mindestens zwei Tagen, die Bürokratie verlangt etwas Aufwand: Die hiesige Behörde soll die notwendigen Genehmigungen für die beabsichtigten Pistenfahrten ausstellen und wir brauchen die polizeiliche Anmeldebestätigung (den berüchtigten Dreieckstempel) im Pass, ohne die das bei der Einreise erhaltene Visum nicht so lange gültig wäre, wie wir im Land bleiben wollen. Die Anmeldebestätigung wird allerdings nur dann erteilt, wenn eine Wohnadresse nachgewiesen wird. Also müssen wir in einem Hotel wohnen. Das erste betrachtete Hotel, das Funduque Jebel, liegt 8 km vor Sebha malerisch auf einem Hügel, ist jedoch geschlossen. Der gelangweilte Wachposten grüßt mit seiner Kalaschnikow und bettelt sofort um Zigaretten. Im Ort ist das Fatah Hotel nicht schlecht, doch letzlich entscheiden wir uns wegen der kürzeren Wege für das Funduk Kalaa und zahlen für das Zimmer mit Balkon, gefließtem Badezimmer und beruhigendem Blick auf den Park mit bewachtem Parkplatz 21 LD. Sofort wird geduscht und der Wäscheberg gewaschen, schlafen werden wir jedoch im Auto – nicht nur um einen Diebstahl zu vermeiden, sondern weil das äußerlich schöne, neue Hotel fest in der Hand (oder den vielen Beinen) einer Armee von Kakerlaken jeder Größe ist.

12. November
Um 7:00 Uhr 18°C, SA 7:30
Wider erwarten eine ruhige Nacht im Garten verbracht. Neben uns parkt ein ungewöhnlich geräumiger DB G in der Krankenwagenversion: 70cm länger, 20 cm höher als ein gewöhnlicher 300 G mit langem Radstand.

700 m nördlich vom Hotel residiert die Polizei und auf der gegenüberliegenden Straßenseite befindet sich eine Mischung aus privater Travel Agency und öffentlichem Tourist Office. Innerhalb einer einzigen Stunde besitzen wir ohne weitere Wege
 - die Genehmigungen für die Pisten zu den Mandara Seen, zum Wadi Mathendous, nach Ghat, ins Acacus-Gebirge und für die Strecke Tmisah – Wau-El-Kebir – Wau-En-Namus – Tazerbo. (LD 10 pro Person) und
 - die polizeiliche Anmeldebestätigung vom Immigration Office im Paß (Dreieckstempel) samt Wertmarke und ohne Unterkunftsnachweis für 6 LD pro Kopf.
Die Wartezeit verkürzt der Inhaber mit Tee und gerösteter Gerste, wir lassen ihn dafür an sechs Postkarten und einer Videocassette mit Tänzen aus dem „Erbe Libyens“ verdienen. Und während Birgit anschließend 30 Minuten braucht, um einige frische Brote zu kaufen, pumpe ich mit dem großen Katadyn-Filter 100 Liter Wasser aus der Hotelleitung in unsere Tanks. Beim Einkaufsbummel erstehen wir noch die drei Teile des Grünen Buches von Gaddafi (3 LD), der in der hier üblichen Transkription Qathafi heißt, zwei nur arabisch beschriftete Libyenkarten (je 2 LD), deren Darstellung deckungsgleich zu einer unserer Karten ist, sodaß wir jetzt noch einfacher die Wegweiser entziffern können, sowie Getränkepulver, Mango- und Guavensaft, Coca Cola, Fanta, alkoholfreies Bier made by Guinness (die Sache mit der Not und dem Teufel), Schokolade, Kekse, Margarine, Käse, Thunfisch, zwei Octopuskonserven, Früchte und einige Sanitärartikel – trotz des immer noch geltenden Embargos sind Nahrungs- und Genussmittel reichlich vorhanden und dank des Schwarzmarktkurses spottbillig.

Nun ist unerwartet alles schon innerhalb eines Tages erledigt und um 14:00 Uhr rollen wir weiter nach Germa, auf neuer Straße, die auch nicht in der doch schon älteren TPC-Karte enthalten ist. Bei der Rast am Rand einer Gemüsefarm, direkt neben dem Pferch für Kamele, schenken uns zwei ägyptische Gastarbeiter eine Tüte Gurken, wir verteilen die dafür vorhandenen Zigaretten und verspeisen das frische Brot aus Libyen, Käse aus Italien, alkoholfreies Bier aus Irland und die letzte Banane aus Kolumbien. Ein Kamel schnuppert lange interessiert an der Schale, frißt sie jedoch nicht.

30 Kilometer vor der alten Haupstadt der Garamanten führt uns Garmin in El Fijij punktgenau zu der nagelneuen Jugendherberge, deren Koordinaten im Reiseführer stehen. 10 LD für ein Zimmer mit WC und Dusche und das Auto, in dem wir auch schlafen, parkt direkt vor dem Fenster.
JH El Fijij: N 26° 32,358' E 13° 19,010', SU 18:15, 25°C

13. November
Um 6:30 Uhr 16°C, SA 7:30
Erst im August wurde die JH geöffnet, außen sieht sie auch neu und ganz ordentlich aus, innen jedoch muß unmittelbar vor unserer Ankunft eine Bombe eingeschlagen sein. Von den Wänden bröckelt der Verputz, die Neonleuchten baumeln an losen Drähten von der rissigen Decke, auch zum Boiler neben der Dusche führen blanke Kabel, einzelne Bodenfliesen fehlen oder sind zerspungen, kein Stuhl, der nicht wackelt, auf dem Boden und in der schwarz verkrusteten Duschtasse liegt schaufelweise Sand und jetzt am Morgen knirschen die Wasserventile nur, aber es fließt kein Wasser. Egal, wir brauchten ohnehin nur einen sicheren Parkplatz in der hier gut besiedelten Gegend, duschen kann man auch mit einem Eimer und wir haben schon auf schlechteren und teureren Plätzen gestanden. Hier herrscht reine Männerwirtschaft, geputzt wird nie, dafür hängen in der Eingangshalle drei riesige Fotos auf denen Gaddafi dem Chef der JH die Hand schüttelt.

Am Abend kamen noch 4 Italiener in den Hof gerollt, ein Paar im Mitsubishi und zwei Motoradfahrer. Sie gehören zu einer Gruppe, die von Ghadames nach Ghat geführt wurde (für 400 USD) und jetzt können sie wegen zu schwacher Motoren (sagen sie wirklich!) nicht zu den Seen bei Mandara.

Beim Losfahren entdecken wir noch vor dem Eingang ein gewöhnliches Wohnmobil aus Deutschland, das für das hiesige Teerstraßennetz gut geeignet ist. Für Ausflüge ins Gelände muß sich die Besatzung ein Allradfahrzeug mit Fahrer mieten. In Takartiba, dem nächsten Ort der Oasenkette, gibt es tatsächlich frisches Brot zu kaufen, inzwischen schauen wir bei der Suche nach einer Bäckerei in jedes Mauerloch.

Südlich (links) der Oasen ragt der Steilabbruch einer hoch liegenden Geröllebene auf, nördlich (rechts) locken die hohen Dünen des Idhan Aubari. Da wollen wir jetzt hinein, denn etwa 30 Kilometer nördlich (Luftlinie) beginnt mitten im Sandmeer eine Seenkette, die von fossilem, jetzt jedoch langsam versiegenden Grundwasser gespeist wird. Die Siedlung Mandara am gleichnamigen See mußte vor zwei Jahren wegen zunehmender Wasserknappheit aufgegeben werden. Den Einstieg in die Piste finden wir auf Anhieb: Garmin hilft, die richtige Fahrspur aus einer Vielzahl von ausgefurchten Wegen auszuwählen. Am Rand der Oase entdeckt Birgit einen Fennek, dessen Spuren wir zu Fuß folgen, aber das schöne Tier läßt sich nicht mehr blicken.

Die erste Dünenkette wird auf einem langgezogenen, flachen Hang wie auf einer Rampe überquert. Nach 7 Kilometern stehen mehrere Reihen Dünen quer im Weg, man kann sie nicht umfahren, sondern muß auf meist 30° (manchmal unmittelbar vor dem Kamm bis zu 45°!) steilen Auf- und deutlich flacheren Abfahrten darüber hinweg. Wir wissen, daß wir gegen die Hauptwindrichtung fahren und deshalb die im Querschnitt wie Deiche aussehenden Dünen am steileren Lee-Hang im lockeren Sand erklimmen müssen. Im Luv ist die Steigung flacher, wie beim Deich die Wasserseite, und der Sand vom steten Winddruck hart gepresst. Aber wie lautet der Werbespruch von Land-Rover? „It takes you everywhere!“ Naja, diese Dünenkette kostet eine Stunde Zeit und viel Schweiß. Drei Wagenlängen vor dem rettenden Kamm sandet der Landy ein, ein Versuch mit längerem und schnellerem Anlauf scheitert auf gleicher Höhe, nachdem schon das Rückwärtsfahren im weichen Sand wegen des fehlenden Schwungs den Griff zur Schaufel nötig machte. Also: Den Sand vor allen vier Rädern wegschaufeln und in die so entstandene Rinne vor jedes Rad ein Sandblech legen. Birgit hält respektvoll weiten Abstand, denn die kräftig drehenden Räder schießen die schweren Bleche nach hinten weg. Wehe dem Bein, das da im Wege wäre. Fortschritt jedesmal: Eine Fahrzeuglänge, denn mit 150 cm Anlauf läßt sich wirklich kein Schwung gewinnen. Schließlich tauchen von Norden kommend 7 Italiener auf (der Rest der Gruppe von gestern abend) und die vielen schiebenden Hände bereiten der Schufterei erstmal ein Ende.


Es folgen 4 Kilometer Auf und Ab über die Dünen, dann reduziert ein Weichsandfeld die Geschwindigkeit und am folgenden Hang bleiben wir 10 Meter vor dem Kamm stecken. Hier kann man in der eigenen, etwas griffigeren Spur weit zurückrollen und neuen Anlauf nehmen. Am Hang liegt jetzt an der kritischen Stelle eine Straße aus Sandblechen, zwar nur 3 Meter lang, aber genau hier geht nun die Traktion nicht verloren und der Landy rollt gerade bis zum Dünenkamm. Wir bedauern den Motor. Weil ein Herunterschalten im lockeren Sand bergauf unweigerlich zum Steckenbleiben führt, bedeutet jede Dünenquerung einen Kompromiß aus höchstmöglicher Anlaufgeschwindigkeit und kleinstmöglicher Übersetzung, um den 3 t schweren Wagen auch den steilsten Abschnitt im Hang – und das sind wirklich manchmal 45°, also 100% - hinaufrollen zu lassen. Also rast man mit Höchstdrehzahl im zweiten oder dritten Geländegang auf die Düne zu und hofft, daß die kinetische Energie ausreicht, den Drehmomentabfall auszugleichen. Im zweiten Geländegang fährt der Landy aber maximal 20 km/h, damit baut man wirklich nicht viel Bewegungsenergie auf... Nicht ganz so hohe Dünen bereiten keinerlei Schwierigkeiten, hier „fliegen“ wir im 4. Low-Gang mit etwa 45 km/h hinauf, kippen mit noch reichlich Fahrt, aber dennoch vorsichtig, über den Kamm und holen bergab wieder Schwung für den nächsten Hang. Wie auf einer Achterbahn. Ab und an stehen ineinander gewachsene Sicheldünen im Weg, die sich auch nicht umfahren lassen und deren Enden ja bedeutend flacher als das steile Mittelstück sind. Einen dieser zunächst flachen Hänge wollen wir schräg anfahren und scheitern. Der Landy rutscht seitlich bergab und wir haben noch Glück, daß er dabei nicht auf die Seite kippt. Birgit war vorher ausgestiegen. Nach einer weiteren Stunde liegt auch diese Passage hinter uns, aber jetzt knirscht der Sand zwischen den Zähnen und der Puls ist etwas beschleunigt.

25 Kilometer nach dem Einstieg in die Dünen tauchen in einem Tal Palmen auf, zunächst vereinzelt, dann in dichten Gruppen – wir sind am Mandara See, der bis auf zwei Pfützen ausgetrocknet ist. Vor den Hütten der verlassenen Siedlung am Südufer liegt noch allerlei Hausrat, ein großer Stapel Brennholz ist jetzt nutzlos, der Brunnen ist staubtrocken. Leider haben die Bewohner vergessen, die Fliegen mitzunehmen, zusammen mit den Moskitos plagen sie sehr. Dennoch wollen wir hier übernachten, ein guter Rastplatz ist schnell gefunden und das Moskitonetz an der Tür reduziert die Anzahl der nervenden Brummer. Thunfisch, frisches Brot, Käse, Orangen und reichlich Saftgetränke stärken die Lebensgeister, aber leider veranlassen uns Geräusche, die auf die Anwesenheit von Menschen deuten, eine halbe Stunde vor dem Sonnenuntergang den Wagen noch einmal startklar zu machen und zum 4 Kilometer entfernten See Um-El-Ma zu fahren. Wer weiß, wer da noch in den zerfallenen Hütten haust und unruhige Nächte mögen wir überhaupt nicht. Am See Um-El-Ma, so berichteten die hilfreichen Italiener, wären ein paar Österreicher mit einem Auto und mehreren Motorrädern. Die sind tatsächlich nicht zu übersehen, ihr Camp liegt mückensicher sehr weit entfernt vom See, wir grüßen kurz, brausen weiter und finden noch vor dem Sonnenuntergang einen wunderschönen Standplatz am Seeufer, glücklich, das erste große Ziel der Reise erreicht zu haben.
SU 18:15, 25°C, Camp Um-El-Ma N 26° 42,70' E 13° 20,08'



14. November
Um 6:30 Uhr 13°C, SA 7:40 hinter hoher Düne.
Sehr gut geschlafen (kein Wunder, nach der Ackerei gestern), starker Wind, keine Moskitos, kaum Fliegen.

Die Seen Mandara, Um-El-Ma (genauer wäre Umm el Maa: Die Mutter des Wassers) und noch andere liegen in langgestreckten Dünentälern, die zwischen den hohen Hauptdünenketten des Idhan Aubari meist von Nordost nach Südwest verlaufen. Die Talböden werden von kleineren Sicheldünenketten und Querrippen gebildet, nicht höher als 15 m, die um 90° quer zu den Hauptdünen stehen. Der Wind fängt sich in den Tälern und bläst am Boden von Nordosten. Zwischen den Dünenketten liegen Palmengruppen und vier größere und einige kleinere Seen.

Der Um-El-Ma hat viel Wasser, das am Ostrand violett verfärbt ist. Hier blubbert der Quelltopf und das uralte Grundwasser drückt Mineralien nach oben. Ringsum stehen Palmen, sogar Schilfbüschel, und am Südufer erhebt sich eine mächtige Düne, von deren Kamm man weit in die Umgebung blicken kann.


Die Österreicher kommen zum Plausch vorbei und als sie mit ihren KTM-Bikes laut und lustvoll knatternd nach Osten hinter den Dünen verschwinden, machen wir einen ruhigen Spaziergang rund um den See und klettern auch auf den hohen Kamm gegenüber. An dem beinahe unwirklich im Sand liegenden See, dessen Wasser mal grün, mal blau, am Rand auch violett schimmert, und dem satten Grün der Palmen und Schilfbüschel ringsum können wir uns gar nicht satt sehen. Zur optischen Sensation kommt die paradiesische Ruhe: Die einzigen Geräusche verursachen der Wind, ein paar Krähen und ein Dutzend Enten, die zusammen mit den Moskitos im Schilf wohnen. Die scheuen Fenneks lassen sich leider nicht blicken, lediglich eine Wüstenspringmaus fühlt sich von der Abfalltüte angezogen, die an der Hängerkupplung baumelt.

Neben dem Landy zeigt das in Sand und Sonnenschein, aber auch im kräftigen Bodenwind liegende Thermometer um 14:30 Uhr 54°C, zusammen mit dem steten Wind und der Trockenheit ist die hohe Temperatur nicht störend. Im gut durchlüfteten Fahrzeug messen wir 38°C. Gegen 16:00 Uhr erscheinen zwei Toyota BJ 42, bauen ihr Camp aber weit entfernt vom See auf. Bald danach brummt ein weiterer Toyota HJ 60 heran, der ebenfalls respektvollen Abstand zum Schilf hält. Wir freuen uns über die ungestörte Einsamkeit und eigentlich sitzen bei dem starken Wind alle Mücken an Binsengrashalmen und klammern sich verzweifelt fest. Oder so ähnlich, jedenfalls ist kein Moskitogebrumm zu hören. Zum Abendessen eine Linsensuppe.
SU 18:15, 25°C, starker Wind



15. November
Viel Wind in der Nacht, alle unsere Spuren rund ums Auto sind verweht, frische Mäusepfotenabdrücke sind zu sehen, ein Fennek war zu Besuch und viele Käfer haben die Brotkrümel weggetragen. Die Abfalltüte übernachtet im Wagen, sie wäre sonst schnell zerrissen und der nicht fressbare Inhalt würde die Landschaft verschandeln. Der Abfall wird auch nicht vergraben, die Mäuse und Fenneks buddeln alles wieder aus, das Zeug wird an der nächsten Tankstelle entsorgt. Um 6:00 Uhr 12°C, SA 7:45, weiterhin starker Wind, der ein mücken- und fliegenfreies Frühstück garantiert.

Am Vormittag kommen die 3 Toyotabesatzungen zum Gespräch herunter, anschließend erhält unser Landy etwas Pflege. Die Ölstände in Motor, Getriebe, Zwischengetriebe und allen drei Differentialgetrieben werden kontrolliert und korrigiert. Das dauert ganz schön lange, hier im Sand unter dem Auto liegend. Im See breitet sich jetzt am Ostufer eine kräftige Rotfärbung aus, die sich jedoch nach drei Stunden wieder aufgelöst hat. Ein Schwung neuer Mineralien oder existieren dort salzabbauende Lebewesen?

Der sehr starke Wind transportiert während des ganzen Tages mächtig viel Sand zwischen Boden und Kniehöhe, alle Spuren sind schnell verweht. Morgen wollen wir zurückfahren und um nicht den kalten Motor die Dünen hinaufscheuchen zu müssen, wird die Standheizung programmiert: So ist schon beim Start das Kühlwasser und mit ihm der Motor auf 70°C vorgeheizt.
SU 18:20, 22°C.



16. November
Um 6:00 Uhr 12°C, windstill (!), eine tolle Stimmung kurz bevor die Sonne über die Dünenkämme steigt.
Die am Abend in den Sand gestellte, fast leere Leberwurstdose (ohne scharfkantigen Rand) ist blitzblank sauber geputzt. Schöne, klare Spuren der Springmäuse ringsum, die putzigen Gesellen sind ja beinahe eine Kreuzung aus Ratte und Minikänguru, lassen sich aber im Tageslicht leider nicht blicken.

Um 7:45 Uhr fahren wir ab, im 4. Geländegang am Camp der Österreicher vorbei und dann sogar im 5. Gang mit immerhin 55 km/h den gewellten Hang zu den Querdünen hinauf. Auf dem hartgepressten Sand der Luvhänge kommt kein Gedanke an ein Einsanden auf. Die Zufahrt zum Schräghang wird auf Anhieb gefunden, hier im Windschatten sind die zerwühlten Spuren unserer Hinfahrt noch deutlich zu erkennen, und dann schlägeln wir uns im Zickzackkurs ohne das geringste Problem weiter über die Dünenpässe. Man muß sehr aufmerksam die Auffahrten wählen und bedenken, daß hinter dem Kamm manchmal ein sehr steiler Abhang wartet. Wer nicht mehr rechtzeitig anhalten kann und in den lockeren Flugsand im Leehang springt, riskiert einen Überschlag. Auch könnte man ja in einen Dünentrichter mit steilen Wänden geraten, aus dem man das Auto dann in Einzelteilen heraustragen dürfte.

Manchmal müssen wir vom Kamm zurückfahren und eine andere Überfahrt suchen, es klappt jedesmal, kein Einsanden, keine Schwierigkeiten und bereits um 8:45 queren wir das Wadi vor der Teerstraße. 30 Kilometer Dünen mit einigen Fotopausen in nur 1 Stunde, wir freuen uns.
In der nur 15 Kilometer entfernten Jugendherberge duschen wir ausgiebig (für 2 LD), inzwischen arbeitet der Elektrokompressor und erhöht den vor der Dünentour reduzierten Reifenluftdruck. (Jetzt 2,3 bar vorn und 3,1 bar hinten, nach 1,0 bar vorn und 1,5 bar hinten für den Sand.) Zehn dampfende Brote werden noch eingelagert und mit frisch gefüllten Wasser- und Dieseltanks starten wir um 13:00 Uhr zum Wadi Mathendous.

ZWEITES ZIEL: WADI MATHENDOUS

Hier mal die Logbuchdaten:
Km 0        Tankstelle Idri N 27° 27,09' E 13° 03,62' . Teerstraßengabelung bei Germa, eine neue Straße führt genau nach Süden in langer Rampe auf die Hamadat Murzuk hinauf.
Km 4        Plateau erreicht, Hamadat mit fussballgroßen, scharfkantigen, schwarzen Steinen übersät – so weit der Blick reicht. Schöne Aussicht zurück ins Tal von Germa und auf die Dünen der nördlich anschließenden Ubari Sandsee.
Km 17      Abstieg in ein breites Wadi, eine stattliche Schirmakazie spendet Schatten für die Mittagsrast.
Km 28      Ende der Teerdecke, anschließende Piste mit nervendem Wellblech, wir weichen nach rechts auf eine sandige Nebenpiste aus, die jedoch auch nur mit maximal 40 km/h befahren werden kann.


Km 45      Im Süden werden die Dünen der Murzuk-Sandwüste sichtbar, die ersten Ketten sind jedoch noch 40 Km entfernt.
Km 50   Links eine Reihe hoher Silos, die zu einem landwirtschaftlichen Betrieb gehören – mitten in der Kieswüste, wie lange soll der Grundwasservorrat ausreichen?
Km 60      Kurz vor den Wirtschaftsgebäuden der Farm zweigt die Piste zum Wadi Mathendous rechts ab, das Wellblech ist vergessen, die jetzt wieder schnelle Fahrt führt über brettflache Kiesebene (Reg/Serir) mit gelegentlichen Weichsandfeldern. Die Piste wird in größeren Abständen mit alten PKW-Reifen markiert. Zwei Riesenreifen (vom Traktor?) kennzeichnen einen Abzweig, dem wir nach Südwest folgen.


Km 122    Ein Toyota Pickup braust uns quer über das Gelände entgegen. Blaues Nummernschild, also irgendetwas Offizielles, große Funkantennen: Ein Polizist transportiert Brennholz und stellt die üblichen Fragen: Woher? Wohin? Weshalb? Die Visa will er auch sehen.
Km 133    Mitten in einem Wadi eine Baumgruppe, darin Hütten der Polizeistation. Eigentlich soll hier die in Sebha ausgestellte Genehmigung kontrolliert werde, aber man hat keine Lust, kontrolliert nicht, sondern winkt uns weiter.
Km 155    Ein kleines, rostiges Blechschild der UNESCO rechts der Piste (die Felsbilder im Wadi gehören zum Weltkulturerbe) weist auf den Abstieg zum Wadi Mathendous. Wir sind in Eile, es ist schon 17:30 Uhr, bald ist Sonnenuntergang und wir brauchen einen ordentlichen Schlafplatz. Es folgen 2000 Meter äußerst holperige Schleichfahrt über die Geröllebene mit kohlkopfgroßen, scharfkantigen Basaltsteinen. Dann etwa 1000 m quer durchs Wadi auf den Nordrand zu. Dort steht günstig eine Akazie und diese wird zum schattenspendenden Camp-Baum erkoren. Für die letzten 8 Kilometer benötigten wir eine Stunde! Zum Abendessen gibt es Griesklößchensuppe, es ist windstill und dennoch sind weder Moskitos noch Fliegen zu sehen.
Camp Wadi Mathendous N 25° 45,80' E 12° 10,14'



17. November
Um 7:00 Uhr 13°C, wir haben lange geschlafen und sind immer noch müde. Windstill. Nach dem Frühstück wird erst einmal der Rastplatz gesäubert; unsere Vorgänger haben wohl ihre Bierdosen und Plastiktüten als Teil des Weltkulturerbes betrachtet oder einfach nur unüberlegt vergraben.

Dann suchen wir an den Felsen des Wadirandes nach Westen laufend die berühmten Felsbilder. Heinrich Barth hat 1850 als erster Europäer auf dem Weg von Murzuk nach Ghat Felsgravuren gesehen und beschrieben (Barth: Reisen und Entdeckungen in Nord- und Central-Afrika 1849 bis 1855). Die Skizzen in seinem Tagebuch zeigen allerdings nicht die im Wadi Mathendous zu findenden Bilder, Barth nennt ein „Wadi Teli-sarhe“.
Wir finden Reliefgravuren, flache Gravierungen und Strichritzungen: Rinder, Giraffen (mit dem typischen Netz!), Antilopen, Elefanten, ein Nashorn, miteinander kämpfende Affen, Räder, einen kopfstehenden Menschen, Hippos, Strauße, Krokodile, einen Giraffenjäger mit Pfeil und Bogen, Giraffen reißende Löwen und Inschriften in Tifinagh (alte Garamanten- und heutige Tuaregschrift) und Arabisch. Leider auch eine Million ausgehungerter und daher äußerst lästiger Fliegen. Eine Gravur wurde offenbar herausgemeißelt. Waren die Blöcke einmal größer? Verwitterungen sind unverkennbar, auch erosionsbedingte Absprengungen. Zur Zeit der Entstehung dieser Felsbilder muß die Landschaft hier ausgesehen haben wie heute in Kenia, Tansania oder Botswana: Savanne, sonst hätten die abgebildeten Tiere hier nicht leben können.

Zurück im Camp umkreist eine Schwalbe das Auto, eine 40 cm lange, türkisblaue Agame jagt zu unserer Freude Fliegen, ein kleiner brauner Vogel bettelt zutraulich piepsend und in der Nähe singt ein Weißbürzelsteinschmätzer. Viele Eingänge zu den Höhlen der Springmäuse sind zu sehen. Ich klettere die Felsen hinauf auf die Hamadat, suche den Horizont nach Fahrzeugen ab (keine zu sehen, nur eine endlos scheinende, schwarze Ebene) und schaue dem Weißbürzel zu, wie er mit Drohgebärden in den Felsen umherhüpft. Er will eine Schlange verjagen! Etwa 150 cm lang, zwei bis drei Finger dick, sandgelb mit grüngrauen Flecken, vielleicht eine Atlasotter. Auf Zuruf ersteigt Birgit einen 8 m entfernten Felsen, schaut auf die Schlange und wirkt wir erstarrt: Nur 10 Meter Luftlinie vom Auto entfernt sonnt sich das Tier auf einer Terrasse, umtanzt vom aufgeregten Steinschmätzer. Von nun an läuft Birgit nur noch in den hohen Wanderstiefeln umher. Als ich dann mit Fotoapparat und Filmkamera bewaffnet wieder oben auf den Felsen stehe, ist die Schlange leider verschwunden und der Steinschmätzer hat sich beruhigt. Den Boden um die Akazie herum besiedeln zwei Ameisenvölker: Große, 8 mm lange, silbrig glänzende Tiere und schwarze, nur 3 mm kleine Krabbler.
Bei tiefstehender Sonne besuchen wir noch einmal die Gravuren und beschließen den Tag mit Rindfleisch auf Kartoffelpüree.

18. November
Um 7:00 12°C, windstill, SA um 7:50 Uhr.
Noch vor dem Frühstück werden im warmen und schattenbildenden Morgenlicht die letzten Gravuren gefilmt und fotografiert. Leider sind die Fliegen auch schon munter. Zum Glück steht die Marmelade unter einer Gazehaube auf dem Tisch. Die eine gestern kreisende Schwalbe ist jetzt zu zweit, das reduziert die Anzahl der agressiven Brummer aber nicht wirklich, die Viecher sitzen an den Augenrändern, der Nase, den Ohren, selbst in den Mund wollen sie hinein – wir sind ständig mit fuchtelndem Verscheuchen beschäftigt und beschließen, das Wadi früher als geplant zu verlassen und ins Acacus-Gebirge zu fahren.

Mit vorgeheiztem Motor brauchen wir für die ersten 8 Kilometer am UNESCO-Schild vorbei wieder eine Stunde, dann folgt eine erholsame Fahrt auf dem Kiesplateau. Leider brummen noch einige blinde Passagiere vom Wadi im Auto umher, die Fliegenklatsche ist im Dauereinsatz. An der Polizeistation wieder kein Aufenthalt, zwei Kamelskelette sehen wir uns genauer an und die bald erreichte Teerstraße ermöglicht ein traumhaftes Schweben in die Oasenkette des Wadi al Haya hinein, bis zur wohlbekannten Jugendherberge. Birgit fährt die gesamte Strecke. Im Ort El Fijij findet ein Festumzug statt, es ist Freitag.

19. November
Um 7:00 Uhr 12°C, etwas Wind.
Zunächst tuckern wir zum 5 Kilometer entfernten „Automechaniker“, vor dessen Wellblechbude zwei Gruben für Wartungsarbeiten liegen. Dort kann ich für LD 10 Mietgebühr das Motoröl und den Ölfilter wechseln, die Kardanwelle abschmieren und Öl im Zwischengetriebe auffüllen, ohne im Sand unter dem Wagen zu schwitzen. Kilometerstand 51.164 Der Besitzer und seine Gastarbeiter schauen interessiert und kopfschüttelnd zu – kein Libyer käme auf den Gedanken, derartige Tätigkeiten selbst auszuführen. Der wahre Mann im Reich Gaddafis sitzt hinter seinem Schreibtisch und erteilt Anweisungen.

Birgit versucht in der Poststube hinter der Tankstelle vor Germa nach Deutschland zu telefonieren. Zunächst ist die Vorwahl unklar, die hilfsbereite junge Postfrau fragt in Sebha nach, bittet um einen Zettel mit der Anschlußnummer in Deutschland und wählt dann 0049 usw. Birgit darf in einem leeren, dunklen Raum auf einem wackeligen Stuhl auf die Verbindung warten und dann auch sprechen, das posteigene Telefon steht lose auf dem Boden. Die Verbindung hat schwankende Qualität und wird auch noch durch ein lautstarkes Gespräch der Postfrau beeinträchtigt. Dennoch ist Birgit zufrieden, zu hause ist alles wie bisher, das 3-Minuten-Telefonat kostet LD 2,800, keine 2 DM.

Nach der Arbeit unter dem Auto wird in der JH noch geduscht, die Katadyn-Filterpumpe füllt die Wassertanks im Landy und danach bietet der Boss ganz freundlich an, im Hof zwei Bäume zu pflanzen. Wir wären ja nun schon Stammgäste. Vier Gastarbeiter pflanzen ohnehin gerade ein paar dürre Stämme in den Kiesboden, wir halten jeder einen Setzling in der vorbereiteten Grube senkrecht, während die für das Arbeiten zuständigen Männer aus dem Tschad Sand um die Wurzelballen schaufeln. Und da dies ja „unsere“ Bäume sein sollen, müssen wir tatsächlich jeder zwei Schaufeln trockenes Sand-Kies-Gemenge hinterherwerfen. Wasser fließt ja noch reichlich, vielleicht gedeihen die Bäumchen wirklich und spenden in einigen Jahren Schatten.

Dann wollen wir weiter, nach Ghat am Tadrart Acacus. In Aubari (Ubari) werden Brote gebunkert und gerade mal 61 Kilometer weiter bietet sich kurz vor dem Sonnenuntergang eine Polizeistation zur Übernachtung an. Die drei Polizisten Ali, Mohammed und ein weiterer Ali, ein Targi, sind bisher freundlich.
Camp Polizeiposten N 26° 24,834' E 12° 11,609'

20. November
Nicht ganz ruhig in der Nacht, eine Ziege meckert kläglich. Um 6:00 Uhr 11°C, windstill.
Abfahrt um 7:45 Uhr, gegen 10:20 Uhr taucht am Horizont der Tadrart Acacus auf und die Straße biegt nach Süden Richtung Ghat ab. Hier begegnen uns die ersten Touristen seit vier Tagen, drei mit Fahrern gemietete Toyota kommen von Süden und wollen auf der Piste an der Grenze zu Algerien nach Ghadames. Schon um 13:00 Uhr ist Ghat erreicht, am Südrand findet sich ein Tourist-Camp, das für LD 5 einfache Sanitäreinrichtungen, Betten in vier Zimmern und einen schattenlosen, großen Sandparkplatz anbietet. Wir schauen uns nur um und fahren erst einmal zum Büro der „Acacus Tours“, wo man uns eröffnet, daß eine richtige Rundfahrt im Acacus-Gebirge 5 Tage dauert, die geplanten drei wären zu wenig, da die Pisten wegen steiler Passagen nur in nördlicher Richtung zu befahren wären. Auf einer Zweitagestour könne man uns jedoch in Randgebiete führen. Wir wollen unbedingt in den Acacus hineinsehen, nicht jedoch für fünf Tage, denn das eigentliche Ziel der Reise ist die Krateroase Wau-En-Namus, und da Touristen im Acacus leider nur mit offiziellen Führern umherfahren dürfen (was angeblich auch kontrolliert wird), einigen wir uns auf LD 275 für eine geführte Zweitagetour. Das ist viel Geld für Hinweise auf Dinge, die wir ohne Führer nicht bemerkt hätten, aber die noch reichlich vorhandenen, billig eingekauften Dinar geben wir ja sonst gar nicht aus. Die Tuareg Ali (der Führer) und Amgar (der Fahrer) erklären freundlich die Route und dann rollen wir noch am Abend ihrem Toyota BJ 42 hinterher, ein paar Kilometer nach Norden, wo in einem weiten Tal eine heiße Quelle in zwei Steinbecken sprudelt. Die hätten wir natürlich alleine nie gefunden. Es ist lustig, wie Kinder in dem stark eisenhaltigen Wasser zu plantschen.
Am gemeinsamen Lagerfeuer knabbern wir am gerade unter der Glut gebackenen Fladenbrot, verspeisen unsere Spaghetti mit Thunfisch und probieren natürlich auch die Mahlzeit der Tuareg: Zerbröselte Brotfladen, übergossen mit fettigen Brühnudeln und Lauchschnipseln. Dazu schlürft man Grünen Tee (Minze wäre schöner, war jedoch gerade nicht zu erhalten).

21. November
Um 7:00 10°C, gegen 8:00 klettert die Sonne über die Berge. Ruhige Nacht.
Die Weiterfahrt führt parallel zur im Westen liegenden Dünenkette zu einem Siedlungsplatz der Tuareg am Fuß dieser Dünen, die beiden Fahrzeuge halten jedoch nicht länger an, denn es sind nur Frauen und Kinder zu sehen und Ali erklärt, diese fühlten sich ohne Männer schutzlos und es wäre unhöflich, dort jetzt neugierig umherzuspazieren. Na gut. Nächster Punkt ist der Jebel Idinin, dessen Hänge an gigantische Steinbrüche erinnern und dessen Ostrand demnächst mit einem Hotel verschandelt werden soll. Die Baugrube ist schon vorhanden. Hier, in der Ödnis, ein Hotel? Für wen? Was wollen Touristen hier? Fossilien – lautet die Antwort, massenhaft im Geröll der Hänge zu finden und Touristen anziehend. Bei der Mittagsrast am Nordrand stolpern wir fast über die tatsächlich leicht zu findenden Versteinerungen urzeitlicher Meeresbewohner. Natürlich wird eifrig gesammelt, zwei Steinbrocken mit Tifinagh-Ritzung bleiben allerdings liegen.

Am Nachmittag führt Ali in ein zunächst weites, dann trichterförmig immer enger werdendes Tal des Acacus hinein. Die ersten 3 Kilometer Sandboden, anschließend 5 Kilometer gut befahrbarer Kies, aber dann mutieren die Kiesel zu großen, scharfkantigen Steinen und das hat eine gewaltige Rüttellei in Schrittgeschwindigkeit zur Folge. Jetzt wissen wir, weshalb die Seitenteile und das Dach des Land-Rovers verschraubt und nicht verschweißt sind: Bei den hier vorkommenden Verwindungen müßten die Nähte reißen. Nach insgesamt 12 Kilometern ist dann der Talschluß in Sicht, wir haben genug von der Holperfahrt, sorgen uns um den Landy und bleiben einfach stehen – hier werden wir übernachten. Ali und Amgar sind deutlich schneller weit voraus gefahren, parken jetzt hinter Felsen am Rand.

 
Nach anfänglicher Freude – die heiße Quelle, die Tuaregsiedlung, die Fossilien – empfinden wir die geführte Tour inzwischen als Zumutung. Beide Tuareg sind sehr freundlich, aber der BJ 42 fährt immer voraus, er führt ja, sucht auf der Piste die beste Spur und wir dürfen dahinter wählen: In der selben Spur den Staub schlucken oder seitlich versetzt staubfrei auf schlechterem Untergrund rollen. Und – eigentlich entscheidend – es fehlt ein bedeutender Teil des Abenteuers: Die eigenen Entdeckungen, das eigene, mit nur einem Fahrzeug noch erhöhte Risiko, das berauschende Gefühl, durch eigene Leistung in lebensfeindlicher Umgebung das gesetzte Ziel erreicht und alle Hindernisse überwunden zu haben. Und es fehlt die Einsamkeit. Die geführte Tour ist nicht wirklich verschieden von einer Gruppenpauschalreise, bei der die eigene Entscheidungsfreiheit gegen Bequemlichkeit und vermeintliche Sicherheit eingetauscht wird. Wir beschließen, die Tour morgen früh abzubrechen und lieber mehr Zeit auf den Pisten zum Wau-En-Namus zu verbringen. Bis zu den berühmten Felsgravuren hier im Tadrart Acacus dringen wir ohnehin nicht vor, die sind uns auch nicht wichtig, denn wir wollen nicht nur etwas anschauen, sondern auch erleben, besondere Atmosphäre genießen und durch das Gesehene die Phantasie anregen – dies ist bei den eindrucksvollen Bildern im einsamen Wadi Mathendous bereits gut gelungen.
Camp Acacus N 25° 18,416' E 10° 27,371'

22. November
Um 7:00 Uhr 11°C, windstill, erwartungsgemäß sehr ruhige Nacht.
Ali und Amgar kommen zum Frühstück aus ihrer Felsenecke hervor und fragen, ob der Landy vielleicht mit einem Defekt stehengeblieben ist. Sie hören unsere Entscheidung, die Tour jetzt abzubrechen, verabschieden sich und wir rollen um 9:00 Uhr aus dem Tal heraus, haben um 10:30 Uhr die nach Norden führende Teerstraße unter den Rädern, kaufen in Al Auweinat frische Brote zum üblichen Preis von 50 Dirham und fahren dann die 300 Kilometer zurück nach Nordosten in das Fessan-Oasen-System bei Germa. Karawanen brauchten früher 5 Tage für diese Strecke, Autos heute knapp 4 Stunden.

Wüstenquerungen auf geteerten Straßen sind eher langweilig, natürlich gibt es Interessantes zu sehen, aber es fehlt die unmittelbare Auseinandersetzung mit den Tücken der Landschaft. Schon bei jeder Pause abseits der Straße, beim Aussteigen, ist die Atmosphäre deutlich anders – schöner, spannender – als bei dem unwirklichen Schweben auf einem Asphaltband. Jedoch, die leicht und schnell zu befahrenden Straßen ermöglichen, in kurzer Zeit verschiedene, weit auseinander liegende Regionen zu bereisen, sie sind das Transfersystem, das man mit größerem Einsatz von Zeit und Material ja auch ignorieren könnte. Zumindest theoretisch, denn in Libyen benötigt der Individualreisende heute für jede Piste eine schriftliche Genehmigung und die durchaus befahrbare (sagt die Landkarte) Off-Road-Verbindung vom Wadi Mathendous nach Ghat ist ebenso verboten und gesperrt, wie die Pisten südlich von Al Khofra im Osten.

Am 61 km vor Aubari liegenden Polizeiposten begrüßen uns Mohammed und die beiden Alis wie alte Bekannte, hier haben wir ja schon übernachtet. Der Posten markiert die Einfahrt in die Oasenkette des Fessan, Akazienreihen tauchen auf, dann die Einmündung der Rampe von Süden, von der Piste zum Wadi Mathendous. Die Ruinen der recht weitläufigen, alten Garamantenstadt bei Germa verlocken zu einer ausführlichen Besichtigung. Wir können kaum glauben, daß die noch vorhandenen Lehmwände 3000 Jahre alt sein sollen – wird auch nicht in jedem Fall so sein, aber der auch den alten Griechen bekannte Siedlungsplatz Garame ist nachweislich der alte, den ein Römerheer angeblich (tatsächlich wohl nicht) zerstört hat. Auf jeden Fall waren die Römer hier im Fessan, Heinrich Barth konnte 1850 noch Meilen- und Gedenksteine finden und skizzieren.

Übernachtung selbstverständlich wieder im Innenhof der JH in Al Fijij, unsere Bäume stehen noch senkrecht. Wäscheberg gewaschen, zum Abendessen Nudeln mit Rührei, der Himmel ist etwas bewölkt.

DRITTES ZIEL: KRATEROASE WAU-EN-NAMUS

23. November
Um 7:00 Uhr nur noch 7°C, die Wolken haben sich verzogen.
Abfahrt nach Murzuk mit dem Fernziel Wau-En-Namus. Aus dem alten Handelszentrum Murzuk, 1865 von Gerhard Rohlfs besucht und lebendig beschrieben (Rohlfs: Quer durch Afrika), ist eine langweilige Durchgangsstadt geworden. Die mächtigen Mauern sind verschwunden, lediglich ein kleines Tor vor der Neustadt und Reste der osmanischen Festung erinnern an alte Zeiten. In der Poststube scheitert der Versuch, in Deutschland anzurufen, immerhin verkauft man uns den gesamten Vorrat an Briefmarken: 12 mal 400 Dirham für die nun zu schreibenden Postkarten. Zawilah entzückt mit einer urigen, noch bewohnten Altstadt und mit schmaler, kurvenreicher Ortsdurchfahrt. Östlich des Ortes stehen fünf markante Grabbauten, die wir uns gern ansehen würden, aber ein Fahrzeug mit Privatleuten, die vorgeben, unsere Pässe kontrollieren zu dürfen, verfolgt den Landy seit dem Ortseingang und macht einen Besuch der Gräber unmöglich. Die Typen schimpfen laut aus ihrem Pickup heraus, vielleicht sind sie ja tatsächlich Zivilpolizisten oder Geheimdienstmitarbeiter und ärgern sich über die Mißachtung, vielleicht – und sehr wahrscheinlich – wollen sie sich nur wichtig machen. Wir rollen einfach weiter.

In Tmissah läßt sich wieder einmal keine Bäckerei finden, glücklicherweise begegnen wir einem mobilen Brotverkäufer, der seinen Pickup mit Kisten voller frischer Brote von Zawilah hierher gefahren hat. Aber eine Tankstelle gibt es und jetzt hat der Landy 200 Liter Diesel im Bauch, das reicht für 900 bis 1000 Kilometer Geländefahrt aus und der Trinkwasservorrat von insgesamt 160 Liter läßt uns sorglos 10, im Notfall auch 30 Tage leben. 11 km nordwestlich, schon an der Piste zum Wau-El-Kebir (dem Großen Krater), bietet sich am Rand der Oase ein Plätzchen zwischen Palmen zur Übernachtung an. Birgit richtet einen Maissalat mit Brot und Salami an und hofft, keine Fliegen zu verspeisen, denn die gibt es hier leider wieder reichlich.
SU 18:00 Uhr, schon 45 Minuten später ist es stockdunkel, 22°C.
Camp Tmissah N 26° 24,227' E 15° 51,541'

24. November
Um 7:00 Uhr 9°C, windstill. Sehr ruhige Nacht. SA 8:00 Uhr.
Gleich nach dem Frühstück wird der Reifenluftdruck auf 1,3/1,5 bar reduziert, die Reifen sind vorn nicht ganz so flach und breit wie in den Ubari-Dünen, aber wir fahren ja hier nicht nur im Sand.

Auf den nächsten 20 Kilometern muß man aber durch Sandfelder hindurch und da auf der hindurchführenden, hart gewalzten Piste tief ausgefahrene Querrillen im Abstand eines Raddurchmessers (Wellblech) zu leicht erhöhter Schrittgeschwindigkeit zwingen, träumen wir vom weichen Rollen auf dem so schön glatt aussehenden Sand neben der Piste, fahren hinaus und stecken schon nach 25 Metern bis zu den Achsdifferentialen im Sand. Drei Mal Schaufeln, Sandblechstraßen legen und dann sind wir reumütig zurück auf der Rüttelpiste, auf der nun auch noch tiefere Längsrillen eine erhöhte Aufmerksamkeit verlangen. Die unzweckmäßigen Pistenmarkierungen steigern den Spaß zusätzlich: Zwischen Wellblech und Mehlsand, dort wo die Wellen noch ganz flach sind und besser zu befahren wären, stecken in unregelmäßigen Abständen fußhohe, fingerdicke Eisenstangen im Boden, Moniereisen wohl. Wer eine dieser Stangen überrollt, wird sich vom Reifen verabschieden können. Also fahren wir brav mit 15 km/h jede Querrille aus und trösten uns mit der Gewissheit, ausreichend Zeit zu haben. Die bei Rallyefahrern beliebte Alternative zur Schleichfahrt auf Wellblech muten wir weder dem Landy noch uns zu: Wer es eilig hat, fliegt mit 90 km/h oder mehr, je nach Abstand der Rillen, über die Wellentäler hinweg und läßt die Reifen den Boden nur auf den Wellenkämmen berühren. Aber: Wenn man mal wirklich bremsen muß, ist der Anhalteweg etwa so lang wie der eines Supertankers und ob das Fahrzeug dabei spurstabil bleibt, entscheiden die Götter. Und bis man auf 90 km/h beschleunigt hat, ist die Rüttellei so stark, daß der Verlust einiger Fahrzeugschrauben und Halswirbel zu beklagen ist. Wir haben das mal in Namibia ausprobiert, so lange, bis zwei der vier Bolzen des Doppelvergasers unseres 6-Zylinder-Landys verschwunden waren. Wie lautet § 1 der StVO in Afrika? Fahre langsam, dann kommst Du weit!

Bei Kilometer 32 (ab Tmissah) enden die Sandfelder exakt dort, wo es die TPC-Karte verspricht und eine Kiesebene liegt vor uns. Das macht die Piste jedoch nicht besser, im Gegenteil: Der Untergrund ist härter, das Wellblech noch unangenehmer – aber nun kann man weit abseits der von Militärfahrzeugen gegrabenen Fahrspuren im Gelände fahren. Dabei stoßen wir auf 12 mumifizierte Kamele, die noch Drahtschlingen um Hals und Fesseln gezogen haben. Mußten die Tiere hier geschlachtet werden?

 
30 Kilometer vor dem Wau-El-Kebir (Km 143 ab Tmissah) stehen die schäbigen Hütten einer Polizeistation ganz einsam auf einem Hügelrücken, drei Männer haben hier jeweils einen Monat Dienst und dürfen dann für einen Monat zu ihren Familien. Nach der Kontrolle von Genehmigung und Pässen und der unvermeidlichen Eintragung der Daten in die übliche Liste gelingt ein ausgiebiger Plausch mit Hilfe der Sprachführer. Man ist sehr nett zu uns, freut sich über Gäste aus dem hier gut angesehenen Deutschland. (Die Bombe in der Discothek La Belle in Berlin-Friedenau sollte ja die Amerikaner treffen.)
Polizeistation: N 25° 33,18' E 16° 34,18'

Bei Km 175 (ab Tmissah) rollt der Landy dann in den Wau-El-Kebir hinein. Der Große (kebir) Krater beherbergt ein kleines Militärlager mit Baracken, Fahrzeugen, Funkmast und natürlich laut knatterndem Generator. Eine Caldera, wie später am einzigartigen Wau-En-Namus, existiert hier nicht, das Oasental ist eine große, unregelmäßig geformte Senke, in der mehrere Tafelberge stehen. Keine weitere Paßkontrolle, man bittet uns in einen Raum, reicht Äpfel und Tee zur Begrüßung und erwartet bewundernde Worte zum Fernsehgerät, in dem allerdings nur ein Videoband die Nachrichten der vergangenen Woche zeigt. Dennoch ein großer Fortschritt gegenüber den Zeiten, in denen die hierher verbannten Soldaten wirklich hinter dem Mond saßen. Neben dem Gebäude hockt ein Falke auf einem Bettgestell, zwei der Soldaten wollen mit ihm fotografiert werden. Einer der beiden zeigt anschließend mit seinem Toyota, der eigentlich ein rollendes Maschinengewehr ist, den Weg zur warmen Quelle, an der wir das Nachtlager aufschlagen. Um uns herum ein lockerer Palmenhain, 300 Meter nördlich das verfallene Gemäuer einer Festung – die alte Zauia aus der Zeit der Senussi? Wir fragen herum, niemand weiß eine Antwort – vielleicht werden die Fragen auch nicht verstanden.
SU um 18:00 Uhr, dunkel ist es wie üblich um 18:45, 17°C, windstill.
Camp Quelle Wau-El-Kebir: N 25° 18,843' E 16° 43,410'


Nach dem Abendessen schauen der Fahrer vom Toyota und ein weiterer Soldat vorbei, auch jetzt kommt eine befriedigende Unterhaltung in Gang - mit Hilfe der Sprachführer, die ja die arabischen Worte auch in arabischer Schrift zeigen. Eigentlich wollen die Leute immer nur wissen, woher wir kommen, wohin wir reisen, weshalb wir überhaupt hier sind, wieviele Kinder wir haben und mit welchem Beruf das viele Geld für die weite Reise verdient werden konnte. Anworten, die den Fragenden unverständlich oder unglaubwürdig erscheinen, geben wir schon lange nicht mehr. Selbstverständlich haben wir Kinder (Söhne verschaffen Ansehen), die gerade bei den Großeltern leben und das Geld wird weder im Taxi noch im Krankenhaus verdient, denn jeder glaubt zu wissen, daß man mit diesen Tätigkeiten nicht reich werden kann. Wir bieten Espresso an, besonders stark gesüßt, der jedoch nach einem Probeschluck klammheimlich hinter dem Rücken in den Sand gegossen wird.

25. November
Um 7:00 Uhr 7°C, windstill. Nachts störten die bellende Hundemeute und der Generator im Militärlager.

Die Ausfahrt nach Osten ist etwas unklar. Oben auf der Ebene markiert ein kleiner Kanister eine Gabelung, an der frühere Reisende geradeaus gefahren sind, wir glauben, mit dem rechten Abzweig die bessere Strecke zu wählen. Der Unterschied wird nach 500 Metern sichtbar: Wer geradeaus fährt, bleibt auf dem Kiesboden und umgeht in weitem Bogen eine Sandebene, in die wir jetzt mit einer Mischung aus Freude und Bangen über einen flachen Mehlsandhang bergab hineinbrausen. Auf dem hellen Sand folgt eine wunderschöne, weiche Fahrt mit gleichbleibend 70 km/h. Beinahe gleichbleibend, denn leider trüben Querrippen, die wie Fischschuppen schräggestellt aus dem Sand ragen, das Vergnügen. Gestern konnte ich aus ebenfalls 70 km/h in einem Sandfeld gerade noch kurz vor einer 50 cm hohen Steilstufe anhalten, bei einem Sprung wäre die Radaufhängung wahrscheinlich beschädigt worden.

Bei Kilometer 217 (ab Tmissah) ist ein Wadi mit vereinzelten Akazien zu queren, im Nordosten erscheinen schwarze Berge am Horizont und auf den nächsten 65 Kilometern verwandelt sich der Boden: Zwischen Kies- und Sandflächen liegen rosa Kalkplatten, die natürlich näher betrachtet werden müssen. Dabei finden wir handtellergroße, flache Steinsplitter, die deutliche Bearbeitungsspuren zeigen – Faustkeile mit Spitzen und abgeflachten Kanten, für steinzeitliche Jäger vorzüglich geeignet, um den Bauch der gerade erlegten Gazelle aufzuschlitzen.


14 Kilometer weiter, bei N 25° 0,725' E 17° 38,921', haben die aus dem Sand ragenden Steinbrocken eigenartig gezackte Silhouetten, wir laufen umher und befinden uns zu unserer Freude in einem Feld versteinerter Holzbruchstücke. Jahresringe und Astansätze sind deutlich zu erkennen. Ein paar verwandelte Baumteile verschwinden im Landy.
Dann wird der Sand übergangslos schwarz, rabenschwarz, wir sind in der Asche- und Schlackenzone des Wau-En-Namus. N 24° 57,891' E 17° 43,876'. Hier parkt rechts an einem flachen Hang ein deutscher VW LT 4x4, der einen Tag vor uns hierher gefahren ist und dessen frische Sandschlachtspuren wir unterwegs mitleidig betrachtet haben. Das Paar klärt auf: Aus Sorge vor den scharfkantigen Steinen wurde der Reifenluftdruck nicht reduziert. Naja, nicht immer findet man den besten Kompromiß. Wo denn der Kraterrand wäre, fragen wir, und blicken entlang der ausgestreckten Arme nach Südsosten - nichts zu sehen, bis zum Horizont eine tiefschwarze Ascheebene. Daß diese sanft, aber stetig ansteigt, hatten wir vorher nicht bemerkt. Und die Wahl des Camps hier und nicht oben auf der Caldera begründen sie mit dem starken Wind dort oben. Wir werden uns überraschen lassen. Die beiden wollen heute noch den Rückweg beginnen, eine Nacht hier reicht ihnen.

Und wie wir überrascht werden! Irgendwann merken wir an der abfallenden Drehzahl, daß es wohl doch bergauf geht, die letzten 200 Meter sind richtig steil, aber der Landy schafft das im 2. Straßengang mit 40 km/h. Dann kippt das Fahrzeug auf den Kraterrand und uns fallen die Kinnladen herunter: Vor uns liegt das 8. Weltwunder, in der Schüssel des nach innen steil abfallenden, lavaschwarzen Kraters glitzert eine Kette langgestreckter, schmaler Seen um den zentralen, braungrauen Vulkankegel herum. An den Seeufern sprießt sattgrüne Vegetation: Schilfgürtel und Palmen, und zu unseren Füßen, am westlichen Innenhang, sind die Aschedünen grau-schwarz meliert. Ein unirdischer Anblick, wobei die Wirkung noch gesteigert wird durch die Abwesenheit jeglicher menschengemachter Einrichtungen. Natur pur und totale Einsamkeit (der LT brummt jetzt gerade nach Nordwesten, zurück zum Kebir). Tmissah, die nächstgelegene Siedlung, ist mehr als 300 km entfernt, das Militärlager im Wau-El-Kebir immerhin 140 km, nach Norden (Zilla) und Süden (Aozou im Tibesti) träfe man erst nach gut 400 km Luftlinie auf Ortschaften und Tazurbo im Osten ist noch etwas weiter entfernt als Tmissah.

Auf dem Tellerrand des Kraters fahren wir bis zum südlichsten Punkt und richten trotz wirklich starken Windes unser „Südcamp“ bei N 24° 53,993' E 17° 45,329' ein. Natürlich übernachten wir hier oben, die Dachschale des Landys kann von innen sturmsicher verspannt werden und gegen die Auskühlung schützt isolierende Kleidung. Da unten in der Ebene wäre es zwar wärmer, aber wir sind ja hier, um die Atmosphäre an einem unserer Traum-Reiseziele zu genießen und können den Blick von der faszinierenden Mückenoase (Namus = Mücke) nicht mehr abwenden.
Sonnenuntergang um 18:00 Uhr in allen Rottönen, ein toller Kontrast zum schwarzen Land, dunkel ist es um 18:50, 15°C.



26. November
Um 6:00 Uhr 8°C, der Wind ist eingeschlafen. Wie gestern zum Sonnenuntergang, so begeistert jetzt das Farbenspiel am Himmel zum Sonnenaufgang in allen Tönen von Violett über Tiefrot bis Gelbweiß.

Zu unserem großen Erstaunen hören wir plötzlich unten im Krater einen Motor brummen – da kurvt ein Toyota Pickup herum, krabbelt mühsam im zweiten Anlauf auf den Kraterrand hinauf und rollt an unseren Frühstückstisch, auf dem heute das haltbare deutsche Leinensamenbrot liegt. Drei Libyer jagen hier mit einem stolz präsentierten Falken (sagen sie jedenfalls) und haben im Krater übernachtet. Die Einsamkeit war also doch nicht perfekt, aber was man nicht weiß... Nach wenigen Sätzen verschwinden sie in einer Staubwolke gen Osten. Später, am Nachmittag, hören wir mit dem Wind aus östlicher Richtung drei Schüsse – doch Jäger?

Um 10:00 Uhr ist die Caldera zu drei Vierteln umrundet, jeder neue Blickwinkel zeigt anderes und andere Farben, wir sind begeistert. Dann steigen wir tatendurstig zu Fuß hinunter, um die Seen und den Zentralkegel zu erkunden. Der Abstieg ist ja leicht, Birgit rennt hinunter, aber plötzlich bemerken wir das Fehlen des erfrischenden Windes, der oben auf dem Kraterrand durch das Auto und um unsere Ohren pfiff – in der Kraterschüssel ist es windstill und heiß wie in einem Backofen, denn die stark geneigten Kraterwände reflektieren die senkrecht einfallende Sonne wie ein Hohlspiegel. Und wir meinen, immer gerade im Brennpunkt zu laufen. Das Gehen ist mühsam, bei jedem Schritt versinkt man bis zu den Knöcheln im lockeren Gemenge aus Sand und Asche. Die Schilfgürtel an den Seen scheinen aus der Entfernung kein Hindernis zu sein, steht man vor ihnen, sind sie undurchdringlich. Ungewöhnlich hart sind die Stengel, oft messerscharf und mit Myriaden von Mücken besiedelt. Nomen est Omen. Also klettern wir auf den zentralen Kegelberg, vorbei an dem „Roten See“, zu dem es – von oben betrachtet – einen Zugang zu geben scheint. Aber auch dies erweist sich als Illusion. Zu dicht das Gestrüpp, zu aggressiv die aufgescheuchten Moskitos, zu groß die Gefahr, in dem Gewirr der den Boden bedeckenden Pflanzenreste auf eine Schlange zu treten.


Daß uns der unmittelbare Zugang zu den Seen verwehrt bleibt, mindert nicht die Begeisterung, die sich aus den berauschenden Sinneseindrücken ergibt. Hier in der Kraterschüssel ist ein kleines Universum entstanden: Insekten, Nagetiere, Eidechsen und Schlangen, Singvögel und Falken, auch Fenneks und Schakale bevölkern die Seeufer, auf den Gewäsern paddeln Blässhühner und was zusätzlich zu den Schnecken (Bilharziose!) noch so in dem Wasser lebt, sehen wir leider nicht (ein Reisender sprach überwältigt von „Urwaldidylle“), aber keines der Tiere wird jemals außerhalb der Oase leben können, die Falken und Blässhühner ausgenommen, sie sind Besucher, wie wir. Jenseits der Caldera wartet eine Vollwüste ohne auch nur die kleinste Pflanze, ohne jegliches Leben. Nicht einmal Würmer winden sich unter den Steinen. Der Wau-En-Namus erscheint uns wie ein belebter Planet, umgeben vom lebensfeindlichen, kalten All. Und dann der optische Eindruck: Im grauschwarzen, vom Wind modellierten Kraterboden wirken die helleren Spuren früherer Besucher wie Fußabdrücke auf dem Mond und die den Horizont gleichmäßig und vollständig begrenzende Caldera markiert mit fast göttlicher Selbstverständlichkeit das Ende der in ihr liegenden Weltinsel. Der zentrale Kraterberg ist Zeuge natürlicher Kräfte, die der Mensch inzwischen zwar kennt, die er jedoch weder beherrscht noch nutzen kann. Die Ohren hören ausschließlich natürliche Geräusche, die Zunge schmeckt die Trockenheit, die Nase bemerkt den feinen Staub, das letzte Verwitterungsprodukt der ausgestoßenen Asche, und die Haut spürt durch die Kleidung hindurch die brennende Sonne. Der Kopf sagt, daß das Wasser der Seen wegen der hohen Mineralkonzentration ungenießbar und wegen der Bilharziose-Schnecken und -Egel noch nicht einmal für ein Bad zu nutzen ist. Der Mensch ist in dieser abgeschlossenen Welt nicht vorgesehen, er wird nicht gebraucht und er kann hier nur mit modernen technischen Hilfsmitteln überleben.

Oben auf dem Kegelberg haben wir schon den letzten Tropfen Wasser getrunken, jetzt auf dem Rückweg sind die Kehlen genau so staubtrocken wie der Boden unter uns. Westlich um den größten See herum streben wir auf den Landy zu, der als Pünktchen auf der Caldera zu erkennen ist und kreuzen dabei Fahrspuren. Vielleicht von dem Toyota, der in der Nacht hier unten war. Nur leichte Fahrzeuge mit starkem Motor, Pickups mit kurzem Radstand, können aus dem Krater wieder herausfahren, Touristen trauen sich mit ihren vollbeladenen, schweren Wohnautos hier nicht hinunter, so bleibt der Kraterboden hoffentlich noch lange verschont von Spuren, die den Eindruck der natürlichen Vollkommenheit zerstören würden. Scheinbar leichtfüßig erklimmt Birgit den Hang der Caldera, zu dem in der Literatur unterschiedliche Höhenangaben existieren. Von 160 bis 200 m Höhe und einer (Innen-)Neigung von 20 bis 40 Grad ist die Rede. Mir kommt dieser Hang hinauf zu unserem Auto unendlich lang, beinahe senkrecht steil und fast unüberwindlich vor. Jeder Schritt, der zu einem Höhengewinn von 30 cm ansetzt, wird durch das Zusammendrücken von Sand und Asche auf 10 cm reduziert, der Mund ist ausgetrocknet, das Blut schon viel zu dick, die Sonne brennt, der Kopf brummt, der Puls rast, der Atem faucht in die Lunge hinein und die Beinmuskulatur meint, sie hätte schon mehr geleistet, als sie kann. Die Kameratasche scheint jetzt 2 Zentner zu wiegen. Für die letzten 50 Höhenmeter wünsche ich mir ein von oben herabhängendes Seil, um die Arme an der Arbeit beteiligen zu können. Später sagt auch Birgit, der Aufstieg sei sehr schwer gewesen, ich hatte den Eindruck, sie fliege 20 Meter neben mir einfach hinauf. Obwohl die Wanderung im Krater nur 3 ½ Stunden dauerte, sind wir völlig fertig, haben wohl auch etwas zu viel Sonne auf die Mütze bekommen, jetzt müssen wir erst einmal 2 Stunden im gut durchlüfteten Landy ruhen. Danach zaubert Birgit köstliche Tortellini á la Panna herbei, dazu findet sich tief unten im Auto eine Flasche mit fruchtigem Minervois von 1990 – ein schönes Dinner mit belebendem Espresso zum Abschluß.

Beim anschließenden Spaziergang (auf dem ebenen Kraterrand, heute nix mehr klettern!) findet Birgit Lavaknollen mit dem flaschengrünen Mineral Olivin. Am Nachmittag frischt der Wind auf der Caldera wieder auf und vertreibt zu unserer Freude die lästigen Riesenfliegen.
Sonnenuntergang um 18:00 Uhr, 17°C. Garmin sagt, die Entfernung nach Eisen betrage 2895 km und nach Berlin 3084 km Luftlinie.

27. November
Um 7:00 Uhr 8°C, leichter Wind, am östlichen Horizont schweben Federwolken. Der Wind hat sich gedreht: Vorgestern aus NO, gestern aus O und jetzt weht er aus Süden. Gegen 2:00 Uhr wurde der aufgehende Halbmond von den Schakalen des Kraters mit lautem Geheul begrüßt.


Um das Wunder vor uns besser erfassen zu können, wollen wir den Krater vermessen und rollen noch einmal auf dem Schüsselrand im Uhrzeigersinn herum. Der Start ist nicht hier am Peakcamp getauften, heutigen Übernachtungsplatz, sondern am Südcamp:
Km 0,0 Südcamp                        N 24° 53,993' E 17° 45,329' liegt doch nicht ganz im Süden!
Km 1,0                                             N 24° 54,143' E 17° 44,763'
Km 2,1 westlichster Punkt        N 24° 54,592' E 17° 44,393'
Km 3,9 Hügel (Peakcamp)        N 24° 55,279' E 17° 44,892' Spurenband nach W (Wau-El-Kebir)
Km 4,8 Kraterausfahrt               N 24° 55,645' E 17° 45,158' flacher Innenhang mit Fahrspuren
Km 5,9 nördlichster Punkt        N 24° 55,851' E 17° 45,826' tiefe Asche auf der Caldera
Km 7,2 Außenhang ganz flach N 24° 55,760' E 17° 46,474' direkter Übergang zum Umland
Km 8,3 östlichster Meßpunkt   N 24° 55,272' E 17° 46,676'
Km 9,2 zerfallener Container   N 24° 54,818' E 17° 46,579' Luftlinie zum Peakcamp 2,95 km
Km 10,2                                          N 24° 54,348' E 17° 46,318'
Km 11,6 südlichster Punkt       N 24° 53,944' E 17° 45,638' Piste nach SW, nach Al Katrun?
Km 12,2 wieder am Südcamp, Umfang also 12,2 km, Durchmesser 3 km (NW-SO) bis 4 km (SW-NO)

Das Öl in Motor, Getriebe und Zwischengetriebe wird kontrolliert und aufgefüllt, dann verabschieden wir uns gegen 11:30 Uhr vom Wau-En-Namus und fahren zum Wau-El-Kebir zurück. Birgit sitzt hinter dem Lenkrad und ich spiele mit dem Garmin herum. Am versteinerten Wald verweilen wir lange zum Betrachten und Sammeln, dann ist bis zur Hügelkette bei N 25° 09,400' E 17° 20,730' eine schnelle Fahrt mit bis zu 80 km/h über Sandebenen möglich;

 
zwischen den weißen Dünen bei N 25° 16,650' E 17° 09,120' und der deutlich erkennbaren, breiten Piste bei N 25° 19,200' E 16° 59,890' bremst viel Wellblech auf maximal 30 km/h ab, zeitweise schleichen wir mit 10 km/h über die Wellen. Die vielgestaltige, aber völlig vegetationslose Landschaft entschädigt für die Mühen beim Fahren über gerundete Hügelketten, abgeflachte Zeugen-Berge und durch sandige Täler, in denen immer weichsandige Ein- und Ausfahrten erhöhte Aufmerksamkeit erfordern.

Für die nächsten 27 Kilometer lassen wir die Holperpiste rechts liegen und rollen einige hundert bis tausend Meter seitlich versetzt im Gelände über eine schöne, weiche Sandebene, dann über faustgroße Steine und unregelmäßige Bodenwellen, schließlich kurz vor dem Wau-El-Kebir durch zwei Weichsandfelder mit ausgefahrener Spur. Die sich auf der Landkarte anbietende Routenalternative haben also auch schon andere gewählt. Kulturschock in der nach 4 Stunden erreichten Oase: Auf dem Weg zum Camp an der Quelle begegnen uns 5 Autos! Es ist wohl gerade Rush-Hour. Beim Aufstellen des Wagens bemerke ich Risse in der Lauffläche des rechten Vorderreifens, die Steine haben wirklich scharfe Kanten. Das handwarme Wasser der Quelle fordert geradezu zum Wäschewaschen auf, danach erhalten wir wieder Besuch von den Soldaten.

28. November
Die vom Hinweg bekannte Piste führt mit viel Wellblech nach Tmissah. Bei der Mittagsrast - weit abseits, aber wegen der flachen Landschaft immer noch in Sichtweite der Piste - kommt ein Toyota herangerollt und erkundigt sich nach eventuellen Problemen. Hier eine ganze Stunde nur zum Essen in der Wüste zu sitzen, käme dem Libyer nicht in den Sinn. Die Weichsandfelder vor Tmissah meistert der Landy im 3. Straßengang mit 60 km/h völlig problemlos – und dann treffen wir an der Tankstelle im Ort unsere Kabinennachbarn von der Fähre mit ihrem Toyota BJ 42, die heute noch zum Wau-El-Kebir wollen. Vielleicht aber auch erst morgen, denn wir plaudern recht lange, tauschen Tips und Erfahrungen aus. Die geplante Nord-Süd-Durchquerung der Haruj al Aswad konnten sie leider nicht realisieren, es fanden sich keine Partner für die schwere und deshalb riskante Strecke. Unser Luftkompressor, der den Reifendruck nun wieder anheben soll, arbeitet im Schongang, ihm wird wohl zu warm und der Thermoschalter zwingt zu längeren Pausen. Der Kompressor benötigt eine stärkere, direkte Kabelverbindung zur Batterie, die Temperatur des Steckers in der üblichen Steckdose erreicht schon den Schmelzpunkt und der Schalter im Kompressorgehäuse muß gegen einen größeren ausgetauscht werden, der serienmäßige Druckschalter ist gerade durchgebrannt.

Dann folgt eine sehr schnelle Fahrt nach Sebha – zumindest bis zum 5 km vor der Stadt liegenden Polizeiposten. Dort werden unsere Pässe nach der Kontrolle nicht sofort zurückgegeben, wir müssen 20 Minuten auf einen per Funk angeforderten Polizei-Toyota warten, der uns anschließend mit 80 km/h quer durch die Stadt zum Hotel eskortiert. Wir sollen den Hotelkomplex heute nicht mehr verlassen, angeblich sind viele bewaffnete Banditen (aus dem Tschad selbstverständlich) in der Stadt und es wären gerade ein paar Menschen erschossen worden. Vielleicht will man in der Garnisionsstadt Sebha auch nur irgendeinen wichtigen Vorgang vor den Touristen verbergen und erfindet Schauermärchen. Ohnehin hatten wir vor, im Hotel Funduk Kalaa wieder ein Zimmer zu mieten, ausgiebig zu duschen und natürlich im Auto auf dem ruhigen, bewachten Parkplatz zu schlafen. Beim Tanken in Tmissah ergab sich ein Verbrauch von knapp 15 L/100 km für die Pisten- und Sandfahrten. Nicht schlecht, denken wir, das braucht ein Mercedes 300G bereits auf Deutschlands guten Straßen. Erwartet hatten wir mehr als 20L/100 km, der Vorrat von 200 Liter Diesel hätte also für etwa 1300 km ausgereicht – beruhigend.

VIERTES ZIEL: GHADAMES

29. November
Im Tourist Office in Sebha weiß man weder irgendetwas von angeblichen Problemen an der Grenze zu Tunesien, noch von bewaffneten Banditen aus dem Tschad. Na gut. Wir kaufen noch 20 Stück von den wirklich nützlichen, arabisch beschrifteten Landkarten zum Wiederverkauf in Deutschland, sowie Getränke und Kekse. In der Post kann man leider nicht nach Deutschland telefonieren. Das Hotelzimmer kostet wieder 21,250 LD, eine teure Dusche, aber ein ruhiger und sicherer Parkplatz.

Nach dem Auffüllen der Wassertanks und nochmaligem Erhöhen des Reifenluftdrucks fahren wir erst um 14:30 Uhr weiter, nach Norden, zu den Djorfa-Oasen um Hun und Sukna. Bei der Polizeikontrolle hinter der Ortsausfahrt fragt man tatsächlich, ob wir Probleme mit bewaffneten Banditen gehabt hätten! In einem ruhigen Seitental des Jebel As Sauda findet sich ein herrlicher Standplatz, 2,5 km von der Straße entfernt.
Camp As Sauda: N 28° 40,879' E 15° 37,188' Mitten in einem Tal voller wadenhoher Vegetation und umgeben von schwarzen Hügelketten, die aus aufgeschütteten Steinblöcken zu bestehen scheinen und an Kohlehalden erinnern. Schon wieder eine unwirklich erscheinende Umgebung. Den zu diesen Basalthügeln gehörenden Vulkan zeigt die Karte 37 km weiter westlich. Am Abend entstehen dicke Wolken, nachts kondensiert die Luftfeuchtigkeit an den Steinen, den Minibüschen und natürlich auch am Landy. Der Boden ist spürbar feucht. Trotz der Wolken (oder vielleicht gerade wegen der ungewöhnlichen Luftfeuchtigkeit?) verabschiedet sich die Sonne mit herrlichen Farben, bis hin zu Violett-Tönen. Um 20:30 Uhr 11° C, windig.



30. November
Um 7:00 Uhr 7°C, bewölkt, kein Wind. Mit dem Sonnenaufgang lösen sich die Wolken auf. Nach den vielen Tagen ohne einen grünen Halm begeistern uns die dürren Büsche rund ums Auto. Das Tal ist absolut ruhig, kein Laut ist zu hören, kein Mensch zu sehen, wir sind wieder einmal ganz allein auf der Welt. Lange verweilen wir beim Frühstück in diesem herrlichen Tal und fahren durch weitere Basalthügelketten hindurch auf der Teerstraße zu der Djorfa-Oasengruppe. Noch eine Rast an Dünen mit schönem Blick auf das Massiv des Jebel As Sauda, der ja eigentlich eine weitverzweigte Basalthalde ist, und dann hinein in das überraschend kleine Nest Sukna, dessen Postamt keinen Stempel und keine Telefonverbindung besitzt. Aber im größeren Nachbarort Hun lassen sich die Postkarten abschicken (die Briefmarken kosten hier nur 0,300 LD) und Birgit führt zwei Telefongespräche, zusammen etwa 5 Minuten für 2,250 LD, dies sind etwa 1,50 DM! Im Ortszentrum weisen hilfsbereite Leute den Weg zum Bäcker, der seine momentan letzten 10 Brote für zusammen 0,250 LD verkauft.

Die Straße nach Westen führt durch abwechslungsreiche Landschaft am Nordrand des Jebel As Sauda entlang, wir queren ein ausgedehntes Wadisystem mit Akazien und Tamarisken, eine Trappe kreuzt den Weg. Wenig Verkehr, auf 100 km begegnen uns zwei Fahrzeuge. Bei N 29° 16,600' E 15° 03,880' zweigt eine verlockende Piste nach Norden ab, aber wir wollen ja jetzt nach Ghadames. Vielleicht reisen wir hier noch einmal umher, reizvolle Ziele gibt es genug. Westlich des 15. Längengrades wird die Hochebene eintönig, die Hügel unterschiedlicher Höhe sind zurückgeblieben, jetzt stehen in der Reg-Ebene nur noch wenige abgeflachte Zeugenberge und einzelne Kegel, die mit schwarzen Lavablöcken bedeckt sind. Wohl kleine Vulkane. 20 km südlich von Swayrif zeigt die Karte westlich neben der Straße am Rande der Hamadat al Hamrah einen „Cemetry“, dort rollen wir hin und finden nur 1400 m neben der Teerstraße, aber ohne Sichtkontakt, ein wieder sehr schönes und ruhiges Camp an alten Grabhügeln der Tuareg. Beim Abendessen im letzten Sonnenlicht leistet uns ein Weißbürzelsteinschmätzer Gesellschaft.
Camp Cemetry: N 29° 50,386' E 14° 13,304'

1. Dezember
Um 7:00 10° C, alles bewölkt. Eine sehr ruhige Nacht auf einem schönen Platz.
Auf der brettflachen Kiesebene Hamadat al Hamrah kann man etwa 4 bis 6 Kilometer weit blicken, dann reflektiert eine Sprungschicht der Luft über dem heißen Boden das Blau des Himmels und man meint, den Horizont zu sehen. Da innerhalb dieses Radius' von 4 bis 6 Kilometern die Grobstruktur des Bodens überall gleich ist (eben Kies mit kleinen Sandfeldern), bewegt man sich auf einer phantastisch gleichförmigen, sichtbar kleinen, wegen der Eigenbewegung jedoch endlos scheinenden Weltscheibe. Man ist allein darauf und immer im Mittelpunkt. Am vermeintlichen Horizont erscheinen manchmal hohe Objekte, die bei fortschreitender Annäherung drastisch schrumpfen: Haushohe Dünen werden zum Sandhaufen, über den man hinwegspringen kann, ein entgegenkommender Lastwagen verkleinert sich zum aufgestellten Reifen, der die Piste markiert, und der Mensch, der da vorne winkt, ist 4 Kilometer näher als kurze Eisenstange zu erkennen, an der ein zerfetzter Schlauch im Wind baumelt.

Darj mit leider zerfallenem Ksar und altem osmanischen, noch von den italienischen Kolonialherren genutzten Fort ist bereits um 15:00 Uhr erreicht, der Landy brummt gleichmäßig und völlig störungsfrei durch die Hamadat. Das 10 km lange, schnurgerade letzte Teilstück einer neuen Teerstraße folgt der noch in der Karte verzeichneten alten Piste durch ein Wadi, das von der hochgelegenen Hamadat al Hamrah in die weite Niederung mit den Orten Darj und Ghadames führt und wohl früher einmal die Trinkwasserversorgung sicherstellen konnte. Bis nach Ghadames zwingen hohe Dünen und unregelmäßige Sandverwehungen zu kurvenreicher Fahrt, der Grand Erg Oriental grüßt über die Landesgrenze hinweg.

Zunächst kündigen einzelne Palmen, dann größer werdende Palmgruppen die Oase Ghadames schon von weitem an, im Hintergrund erheben sich jetzt deutlich sichtbar die mächtigen Sandberge des Großen Östlichen Erg. Das Hotel Ain El Fras ist schnell gefunden, die kleine Gebäudegruppe am Rande der Altstadt bietet im geschützen, sandigen, mit einer einsamen Palme begrünten Innenhof ruhige und sichere Standplätze für Autotouristen. Leider sind momentan alle Zimmer und damit auch alle Duschen vermietet.


Noch vor dem Sonnenuntergang zieht uns die Neugier zu einem ersten Rundgang in die als Weltkulturerbe geschütze Altstadt. Auf dem Vorplatz des Eingangstores sitzen fünf alte Männer auf der langgestreckten, kalkweißen, an eine ebenso weiße Mauer gebauten Steinbank und genießen die warme Abendsonne. In den langen, überbauten und gewundenen Gängen der Altstadt begegnen wir dann nur noch einem weiteren Menschen, der alte Ort wirkt wie ausgestorben. Die Leute leben in neuen, mit Petrodollars erbauten Vierteln und werden versorgt von starken Pumpen, die nicht nur den unterirdischen Bach im Wadi, sondern auch das fossile Grundwasser anzapfen. Hier, in dem historischen Ort, den die Römer für die Hauptstadt der Garamanten hielten, bevor sie Germa kannten, nimmt uns die gespenstische Stimmung gefangen. Weiß gekalkte, labyrinthisch verflochtene Tunnelgassen ziehen durch die zunächst leblos wirkende Stadt und öffnen sich immer wieder zu unregelmäßig geformten Plätzen, von denen man den Sonnenstand und Minarette sehen und als Orientierungshilfen nutzen kann. Fenster öffnen sich ausschließlich zu den Innenhöfen der zwei- oder dreistöckigen Häuser, deren miteinander verbundene, abweisende, aber auch schützende Außenmauern die Gassenwände bilden, in denen sich bis auf die immer verschlossenen Haustüren keine Lücken befinden. Auf einem größeren Platz, hinter dessen Umrandung die Palmengärten sichtbar werden, befindet sich ein mit häßlichem, rissigen Beton eingefaßtes Becken: Hier sprudelte einst die Lebensader der Stadt, eine artesische Quelle, in der die auf der Hamadat al Hamrah kondensierte Feuchtigkeit wieder an das Tageslicht kam. Zusätzlich existierten Foggaras, von Sklaven mühsam gegrabene Tunnel, in denen unterirdisch das Wasser der an der Oberfläche meist trockenen Wadis zum Ort geleitet wurde. Heute wächst grünes Buschwerk in dem Becken und kündet vom noch etwas feuchten Boden.

Die Altstadt ist kleiner als wir dachten, verlaufen kann man sich nicht und kurz bevor es richtig dunkel wird sind wir zurück im Hotel, wo wir ein „Dinner“ bestellt haben. Das jedoch wird zum Reinfall: Nach einer Bohnensuppe erscheinen für jeden zehn fettriefende Kartoffelstäbchen, ein paar Teile eines Hähnchens, das den Hungertod gestorben sein muß, und säuerliches Fladenbrot. Naja, immerhin schmecken die drei Fasern Fleisch ganz gut. Im Restaurant sitzen nur junge Männer (Gastarbeiter aus Algerien, vermuten wir), Paare pflegen auf ihren Zimmern zu essen, sagt der Kellner.

2. Dezember
Lange geschlafen, um 8:00 Uhr 10°C. Großer Katzenjammer in der Nacht, so ein vielstimmiges, langanhaltendes Geheul von Katzen haben wir noch nie gehört. In der Nähe befindet sich eine Backstube, das frische Brot rettet das Frühstück. Beim Bummel über den Markt in der Neustadt überrascht das reichhaltige Angebot an Obst und Gemüse, das auch Algerier anzieht. Für sie ist die nahe Grenze geöffnet, für europäische Touristen leider nicht.


Jetzt lockt noch einmal die malerische Altstadt, an deren Rand junge Algerier mit langen Mänteln, Kapuzen und Tüchern gegen die Kälte gewappnet (knapp über 10°C) auf Taxis warten, die mehrmals täglich zwischen Ghadames und Bordj Messaouda oder Deb-Deb pendeln. Aus einer Moschee strömen Männer, jeder mit mehreren Broten unter dem Arm. Jemand schenkt uns ein Brot und erklärt, die Gruppe käme von einer Gedenkfeier für einen kürzlich Verstorbenen und die Brote symbolisierten das gemeinsame Totenmahl.
Siesta auf dem Flachdach des Hotels und Birgit stellt vom hochgelegenen Aussichtsplatz fest, daß die Schubkarre hier das beliebteste Transportmittel ist. Mit ihr und nicht mit Eseln werden Datteln, Palmblätter, Brotberge, Obst und Gemüse, sowie Baumaterial und manchmal auch Kinder durch die Gassen und Gärten der Stadt transportiert. Am Abend kaufen wir noch in der Neustadt Gebäck, Bananen für wieder LD 3,000 je kg, Äpfel für den gleichen Preis, Orangen im 2 kg-Beutel für LD 5,000, Tomaten für 1 Dinar je kg, eine Flasche „alkoholfreien Sekt“, d.h. moussierenden Traubensaft, und kochen am Auto eine große Portion Reis für die nächsten zwei Tage.
SU 18:15 Uhr, die Temperatur beträgt noch 20°C.

3. Dezember
Im osmanischen Fort zwischen Medina und Neustadt befindet sich ein kleines, aber tatsächlich sehenswertes Museum. Weder Wärter noch Verkäufer für Eintrittskarten sind zu sehen, die mit viel Aufmerksamkeit für Details arrangierte Austellung ist völlig frei zugänglich. Zu sehen sind Gebrauchsgegenstände früherer Tuareg-Generationen, Sattelzeug und Waffen, aus Palmholz gefertigte Türen und dazugehörige monumentale Schlösser, Kleidung, auch Schmuck und Gemälde. Bruchstücke römischer Säulen stehen herum und in einem Raum erwarten uns präparierte Vögel, Schlangen und Skorpione in Formalin, Sandrosen und eine ungewöhnlich detaillierte Karte des alten Ghadames. 1962 hatte ein Schwede im Rahmen seiner Dissertation die Medina mitsamt den lebensnotwendigen Gärten mit wissenschaftlicher Genauigkeit kartographiert. Da im Museum immer noch niemand zu sehen ist, fragen wir später im Tourist-Office nach dieser Karte und können eine Kopie erwerben. Auf dem Rückweg zum Hotel schlendern wir noch einmal durch die Altstadt, die auch heute wieder ausgestorben scheint. Lediglich ein winziger Kleidermarkt befindet sich hinter dem Haupttor und ein paar Jungen toben umher.

Da inzwischen zwei Reifen Risse in der Lauffläche haben und wir auf den nun durchgehend vorhandenen Teerstraßen etwas schneller fahren wollen, werden am Landy die Räder gewechselt. Die rissigen Räder hängen bald in den Reservehalterungen und die letzte neue Michelindecke muß künftig auf der Straße arbeiten.

Am Nachmittag ist die Medina immer noch menschenleer, aber vor dem Haupttor stehen und sitzen viele Männer, die einem Verstorbenen das letzte Geleit geben, mit gemeinsamen Gebeten und Spalier bis zum Friedhof. Die Altstadtgassen münden im Nordwesten in die von einer bröckelnden Mauer begrenzte Zone der Palmgärten. Jede Familie besitzt hier ein Areal für den Gemüseanbau, die Palmen spenden schützenden Schatten und ein System unterschliedlich breiter, mit Schiebern verschließbarer Rinnen ermöglicht die genau bemessene Bewässerung. Ein alter Mann säubert gerade einen der flachen Gräben.

Auf der Rückseite unseres Hotels begrüßt uns der aus Mali stammende Gärtner und wir entdecken die Originalfarbe des Gebäudes: Lehmrot, die Farbe der Oase Timimoun. Wie an den Vorabenden wird die Sonne mit einem Vogelkonzert verabschiedet und kurz darauf schleichen die ersten Katzen auf den breiten Palmzweigen herum.

4. Dezember
Am Grenzübergang nach Algerien erfahren wir zu unserer großen Überraschung, daß wir mit einem algerischen Visum im Paß hier tatsächlich ausreisen dürften. Ob die Algerier dort drüben die Einreise gestattet hätten, konnte allerdings niemand sagen. Aber wir besitzen kein Visum für Algerien. Wegen der Tuaregrevolte im Niger, in Mali und im Süden Algeriens, wo Autoreisende inzwischen den Status hochwillkommener Lieferanten von dringend benötigter Ausrüstung haben, hatten wir den Besuch dieser Region ausgeschlossen. Unser Weg führt jetzt nach Norden, zum Grenzübergang am Raj Ajdir.

Bei einer Rast nördlich von Darj findet Birgit wieder Versteinerungen frühzeitlicher Muscheln, die Sammlung wächst. 80 Kilometer südlich von Nalut nimmt die Vegetation zu, immer dichter stehen jetzt Gräser, Kräuterbüschel und Tamarisken, „Kamelland“, sagt Birgit. In den Senken des hügeligen Geländes sind kleine Gärten angelegt, meist mit ein paar Ackerfurchen und einem Olivenbaum. Die Medina von Nalut liegt ausgesprochen malerisch, wirklich wie ein Adlernest auf dem Plateau eines Inselberges. Hier bei Nalut geht die südliche Hochebene, der zerfurchte Jebel Nafusah, mit einer hohen Geländestufe über in die Küstenebene. Noch auf der Hochebene, der Medina genau gegenüber und von ihr durch ein steilwandiges Tal getrennt, befindet sich ein Hotel, in dem wir eigentlich mal wieder ein Zimmer zum Duschen mieten wollten (die Dinar müssen ja ausgegeben werden). Ansehen können wir uns die umfangreich ausgestatteten, aber wie üblich etwas angegammelten Gästezimmer, nur mieten nicht: Die aus Casablanca stammende Kellnerin (eine Frau!) darf keine Zimmer vermieten und der libysche Manager ist heute nicht im Haus. Da wir auch keinen Standplatz im Garten erhalten, bleiben wir einfach vor der Tür und übernachten dort, wo wir gerade stehen. Etwas ungemütlich, weil bis zum späten Abend unter der Beobachtung aller Leute.

5. Dezember
Um 6:00 Uhr 10°C, wir krabbeln früh aus den Schlafsäcken und können so ohne einen Belagerungsring aus Neugierigen in Ruhe frühstücken. Der Bäcker um die Ecke verkauft nach 15 Minuten Wartezeit 5 knusprige und dampfende Brote für die weiteren Mahlzeiten am Tage. Dann rollen wir den Jebel hinunter, bis nach Zuara an der Küste, begrüßen das gar nicht so kalte Mittelmeer und Birgit sucht nach schönen Muscheln. Gegen 13:00 Uhr geht es weiter zur Grenze und in Bukamash, dem letzten Ort in Libyen, füllt ein freundlicher Tankwart dem Landy wieder 200 Liter Diesel in alle Hohlräume, immer noch für umgerechnet 7 Pfennige je Liter. Das müßte bis Berlin ausreichen, in Tunis werden wir beim Warten auf die Fähre noch 150 ml Fließverbesserer in den Haupttank schütten, damit der hier verkaufte Sommerkraftstoff in den winterkalten Alpen nicht zu Margarine wird.

Um das lästige Umräumen am Abend zu vermeiden, werden jetzt gleich vier volle Kanister mit zusammen 90 kg auf dem Dach festgezurrt. Die Dachlast beträgt nun 200 kg, das ist die Belastungsgrenze, aber wir rollen und hüpfen ja nicht mehr im rauhen Gelände umher.

Die Libyer erledigen ihre Kontrollen in 45 Minuten, wobei uns ein wenig Glück hilft: Ein Zöllner verlangt das vollständige Ausräumen des Fahrzeugs und das Ausbreiten aller Dinge auf langen Tischreihen. Wir weigern uns ganz standhaft mit der Begründung, dies würde viel zu lange dauern, schließlich hätten wir zu hause 8 Stunden für das Einräumen benötigt. Der nach dem Widerspruch etwas hilflos erscheinende Zöllner holt seinen Vorgesetzten, dieser blickt nur kurz in das Auto und läßt uns weiterfahren. Na bitte, geht doch. Die Einreise nach Tunesien dauert knapp 30 Minuten und dabei dauert es allein eine Viertelstunde, die Videokamera in den Reisepaß einzutragen. Die muß bei der Ausreise noch vorhanden sein und soll dadurch nicht im Land verkauft werden können. Auf den ersten paar Kilometern in Tunesien bremsen mehrere Polizei- und Zollkontrollen die Fahrt, man sucht nach Schmugglern.

450 libysche Dinar sind noch übrig, der Gegenwert von DM 300, die würden wir gern in irgendeine ordentliche Währung zurücktauschen. Die ersten Händler bieten jedoch nur tunesische Dinar an, keine US$, FF oder DM. Unseren Einwand, so viele TD brauchten wir nicht, kontert einer mit der Aufforderung, wir sollten einen Teppich kaufen. Dann will doch jemand US-Dollar herausrücken, leider viel zu wenig und irgendwann sind wir es leid, noch mehr Zeit zu vertrödeln und akzeptieren den bei allen Wechslern gleich schlechten Wechselkurs. Für 100 US$ will man 310 LD. Also tauschen wir 435 LD gegen 140 US$ und weitere 12 LD gegen 4,450 tunesische Dinar. Die restlichen Scheine brauchen wir als Souvenir. Damit haben wir (bei einem Kurs von DM 1,50 für 1,00 US$) DM 584,00 für vier Wochen in Libyen ausgegeben, davon allein DM 180 für die weitgehend nutzlose Führung am Acacus. Ohne an irgendetwas zu sparen, hätten DM 400 für 4 Wochen und 2 Personen gereicht! Ein billiges Reiseland, was allerdings dem Schwarzmarkt zu verdanken ist und den Rückwechselverlust von knapp DM 60 muß man einfach in den Kurs einrechnen. ( Der Dieselkraftstoff hat dann eben 7,5 Pfennige je Liter gekostet.) Die Fähre nach Genua ist bezahlt, der Kraftstoff reicht bis Berlin, für Italiens Autobahnen besitzen wir noch LIT 100.000 und für Tunesien rund 20 Dinar, selbst für das Restaurant der Fähre sind noch FF 120 vorhanden – wir werden jetzt nicht mehr eine einzige Mark ausgeben. Die gesamte 6-wöchige Reise hat uns beide zusammen knapp DM 4000 gekostet, hier mal eine Liste mit gerundeten Beträgen:

Vorbereitung:
Literatur, Landkarten 200,-
Visa, Passfotos 130,-
Filme, Video-Cassetten 150,-
Lebensmittel (mitgenommen) 400,-
Fähre Genua-Tunis-Genua 1200,-
Telefon, Porto 40,-
Unterwegs:
Bargeld 1400,-
EC Reifen, Schlauch, Rep. 320,-
Nachbearbeitung:
Filmentwicklung, Fotos 100,-

Der Pirelli-Reifen wurde als 2. Reserverad zur Beruhigung speziell für diese Reise gekauft und wird daher bei den Reisekosten berücksichtigt.

Birgit klagt über eine nunmehr 4-wöchige Joghurt-Abstinenz, die sie heute unbedingt beenden will. So erstehen wir in Ben Guerdane einen ganzen Karton voller Joghurtbecher und tuckern kurz nach Sonnenuntergang in den Hof der malerischen Ghorfa-Anlage in Metameur.
Um 20:00 noch 16°C.

6. Dezember
In Tunesien gilt die Mitteleuropäische Zeit, wir schlafen eine Stunde länger. Heute ist Nikolaustag, leider war der Stiefel leer, meint Birgit. (Vielleicht hätte ich einen Joghurtbecher hineinstellen sollen...) Ein farbenprächtiger Sonnenaufgang sorgt für die wieder wunderschöne Stimmung auf dem Platz zwischen den Ghorfas; wir frühstücken neben dem Landy, umgeben von den alten Speicherkammern. Fünf oder sechs Gäste haben gerade drei der zu Gästezimmern umgebauten Tunnelgewölbe gemietet, der Patron ist guter Dinge. Jetzt eilen noch zwei Touristengruppen über den Hof, dann sind wir wieder allein, können ausgiebig duschen und fahren gegen Mittag weiter – um gleich darauf vor Gabès am altbekannten Strandplatz zu rasten, wieder mit Kuchen und Joghurt. Birgit läuft durchs Wasser, sucht Muscheln und schaut den Fischern beim Einholen der mit nur wenigen Tintenfischen viel zu spärlich gefüllten Netze zu.
Die im Vergleich zu Libyen ungewöhnliche Sauberkeit fällt auf: Die Ränder der Fernstraßen, die Dörfer, die Felder sind viel sauberer, selbst die Duschen im Ghorfahotel machten einen blitzblanken Eindruck, obwohl auch hier viele Leute ex und hopp handeln, wie am Strand zu sehen ist. Aber der Abfall wird weggeräumt, was in Libyen nicht üblich ist.

20 Kilometer südwestlich von Sfax, am Nakta-Plage, befindet sich eine Ferienhausanlage der reicheren Tunesier, in deren Umfeld wir gern übernachten würden. Aber die Ferienhäuser sind jetzt alle unbewohnt, die Gegend menschenleer, hier bleiben wir nicht. Gleich nördlich, immer noch vor Sfax, steht neben einem archäologischen Ausgrabungsgelände eine Jugendbildungsstätte, in deren Garten der Landy parken darf. Der nette Leiter der Bildungsstätte führt uns durch das ganze Gebäude, auch der Hausmeister grüßt freundlich, wir hinterlassen dafür nur Reifenabdrücke und Fußspuren in dieser sauberen Umgebung.
Sonnenuntergang 17:15 Uhr (MEZ), Temperatur noch 20°C.

7. Dezember
Gemütliche Bummelfahrt entlang der Küste, Birgit sammelt an jedem Strand Muscheln für das Wohnzimmer-Museum, ich reinige derweil den Petroleumkocher, denn das Gas geht zur Neige. In der Senke um Sfax bestimmen großflächige Olivenplantagen das Landschaftsbild, die Stadt Sfax hat zusammen mit ihren dicht besiedelten Vororten eine Nord-Süd-Ausdehnung von etwas mehr als 80 Kilometern. Bei Monastir fallen schöne Hotelanlagen auf, die der Landschaft und der übrigen Bebauung angepaßt sind. Nördlich der Stadt passieren wir zunächst einen Palast des Präsidenten, dann Strände, den Flughafen, Industrieanlagen, die erstaunlich schmutzig aussehen und Dreck in die Luft pusten, und anschließend viele, viele Hotel-Ghettos. Dann das Cap Afrique mit eindrucksvoller Festung und alter Stadtmauer um den Ort Madhia.
Nördlich von Sousse existiert zwischen den Hotels tatsächlich noch eine Lücke am Strand, hier werden wir übernachten. Auf dem großen Sandplatz parkt schon ein VW LT aus Itzehoe – das Paar ist seit zweieinhalb Jahren rund um das Mittelmeer unterwegs.
Der vorhin gepflegte Petro-Kocher brennt jetzt wunderbar.

8. Dezember
Bei Hergla sind in einer Lagune viele Vögel zu beobachten: Reiher, Kormorane, Flamingos und Löffler. An dieser Lagune ließe sich gut übernachten, schöne Muscheln liegen auch herum. Wir tanken noch einen Vorrat an Sonnenstrahlen für den deutschen Winter, dann treiben uns größer werdende Wolken am Nachmittag über Hammamet und Nabeul zum Fährhafen in Tunis, wo man auf dem Hafengelände übernachten darf.
Um 19:00 Uhr noch 20°C.

9. bis 11. Dezember
Erst um 10:00 Uhr läßt man die wartenden Fahrzeuge in den Bauch der Fähre fahren, eigentlich soll die Überfahrt um 11:00 Uhr beginnen, doch das Schiff legt erst kurz vor 12:00 Uhr ab. Am nächsten Morgen ist noch bei Dunkelheit gegen 6:00 Uhr im Westen die korsische Küste zu erkennen. Die Schaukelei auf dem von Winterwinden aufgewühlten Mittelmeer setzt Birgit etwas zu und so bleibt sie bis 10:00 in der Kabine. Um 12:00 empfängt uns Sonnenschein in Genua und nachdem wir an Bord eine ganze Stunde auf den tunesischen Ausreisestempel warten durften, verschonen uns die Italiener mit Kontrollen. Wie auf einer Rheinfähre darf man an Land rollen und sofort weiterfahren.

In Genua wird noch Brot und Obst gekauft, dann auf der Autobahn nach Voghera gefahren und im dortigen, vom Hinweg noch gut bekannten Supermarkt füllen feiner Käse, würzige Wurst und endlich mal wieder Bier und Wein den Einkaufswagen. An der Autobahnraststätte zwischen Peschiera und Trento verspeisen wir die Beute und bleiben für die Übernachtung gleich stehen.

Der letzte Reisetag ist der 3. Advent, um 6:00 Uhr frieren wir bei nur noch 4°C. Spät in der Nacht parken wir dann in Berlin vor der Haustür und laden unsere Schätze aus.
Abgesehen von der selbstverschuldeten Reifenpanne am dritten Tag ist der Landy völlig störungsfrei gelaufen und hat uns als Schneckenhaus (oder rollendes Zelt) eine wunderschöne Reise zu einem unserer Traumziele ermöglicht.